08. August, 2025

Startups & VC

Revolution aus Raum A.03 – Wie ein Start-up die Arztpraxis neu erfindet

Digitale Tools, geteilter Wartebereich, KI im Einsatz: Das Berliner Start-up Eterno will Arztpraxen neu denken und setzt dabei auf ein Coworking-Modell mit Café-Flair und Cloud-Technologie. Doch hinter der skandinavischen Wohnzimmeratmosphäre steckt ein knallhartes Digitalisierungsprojekt.

Revolution aus Raum A.03 – Wie ein Start-up die Arztpraxis neu erfindet
Bis zu 10.000 € pro Monat zahlen Ärztinnen und Ärzte für einen Vollzeitplatz bei Eterno – trotz wachsender Kritik an der Kommerzialisierung medizinischer Grundversorgung.

Es ist 13:10 Uhr in Berlin-Mitte, als Patient Nummer 15 in Raum A.03 aufgerufen wird. Im Wartebereich riecht es nach frisch gemahlenem Kaffee. Mintgrüne Tische, helle Holzvertäfelung, Croissants in der Vitrine.

Doch der weiße Kittel, der zwischen den Laptop-Arbeitenden hindurchgleitet, verrät: Wir sind nicht im Café, sondern in einer Praxis. Einer, die sich selbst als Zukunftslabor versteht. Willkommen bei Eterno.

Eterno Group | Innovative Gesundheitsversorgung und cloudbasierte Praxislösungen
Eterno vereint modernste Praxislösungen und cloudbasierte Software, um eine menschlichere, fortschrittliche Gesundheitsversorgung zu schaffen. Entdecken Sie, wie wir Ärzte unterstützen und Patienten in den Mittelpunkt stellen.

Coworking statt Einzelpraxis

Die Idee ist so simpel wie disruptiv: Warum sollten sich nur Start-ups oder Tech-Firmen Flächen teilen, wenn auch Ärzte von denselben Skaleneffekten profitieren können? Genau hier setzt Eterno an.

Das Berliner Start-up betreibt moderne Polikliniken, in denen sich Mediziner Behandlungszimmer, Technik, Personal und Wartebereich teilen. Gleichzeitig dient das Konzept als Showroom für Eternos eigentliche Ware: eine Cloud-basierte Praxissoftware.

In Hamburg und Frankfurt laufen die ersten zwei Standorte bereits seit 2022, Berlin wurde 2025 als drittes Zentrum eröffnet. Insgesamt bis zu 20 Mediziner können sich hier einmieten.

Der Vorteil für Ärzte: Sie erhalten vollausgestattete Behandlungszimmer, ein komplettes Verwaltungs-Backend, IT-Infrastruktur und geschultes Personal. Der Nachteil: Sie zahlen bis zu 10.000 Euro monatlich für ein Vollzeitpaket. Für viele Praxisgründer dennoch eine Alternative zum klassischen Alleingang.

Eternos KI erkennt Wetter, Streiks und Entfernungen – und berechnet die Wahrscheinlichkeit von Terminabsagen. Kritiker sprechen von algorithmischer Diskriminierung.

Showroom mit Skalierungspotenzial

Was aussieht wie ein modernes Design-Ambiente für Selbstzahler, ist in Wahrheit ein knallhart kalkuliertes Digitalisierungsprojekt. Eterno will Arztpraxen nicht nur digitalisieren, sondern die komplette Art, wie Medizin organisiert wird, neu denken. Man versteht sich als "IKEA für Mediziner": Wer die Software kaufen will, muss sie erleben können.

Timo Rodi, Chief Medical Officer bei Eterno und selbst promovierter Arzt, erklärt:

„Ärzte wissen oft nicht, wie Digitalisierung in der Praxis konkret aussehen kann. Deshalb betreiben wir eigene Standorte.“

In Berlin stehen 18 Behandlungsräume zur Verfügung, dazu OP-Räume, ein Pilatesstudio, Telefonboxen für Videosprechstunden und sogar ein Labor. Ein Zahnarzt beansprucht mehrere Räume, ein ästhetischer Chirurg führt ambulante Eingriffe durch.

KI am Empfang, Cloud im Hintergrund

Die Software von Eterno ist Cloud-basiert und ersetzt klassische Servermodelle. Sie organisiert Patientendaten, Überweisungen, Rezeptdrucke und sogar Terminausfall-Wahrscheinlichkeiten.

Per KI analysiert das System Wetterdaten, Streikmeldungen und Wohnortdistanzen, um die Wahrscheinlichkeit für Nichterscheinen zu berechnen.

Auch Gespräche können auf Wunsch mit KI-Hilfe protokolliert und automatisch zusammengefasst werden. Fragebögen werden nicht mehr ausgedruckt, sondern über QR-Code oder Tablet ausgefüllt. Das Ziel: Papierfreie Praxen, schnellere Dokumentation, mehr Zeit für medizinische Behandlung.

Finanziert aus Hotelsoftware-Exit und mit prominenter Hilfe

Gegründet wurde Eterno von Frederic Haitz und Maximilian Waldmann, die zuvor mit dem Hotel-Start-up Conichi einen Exit an HRS hingelegt hatten. Das neue Projekt finanzierten sie zunächst selbst, bis Promi-Investoren wie Mario Götze, die Flixbus-Gründer oder die Schweizer Krankenkasse Helsana rund 25 Millionen Euro beisteuerten.

Aktuell nutzen mehr als 1000 Praxen die Software. Einnahmen erzielt das Unternehmen vor allem durch Abos und Lizenzen. Die Coworking-Standorte dienen als Umsatztreiber und Multiplikatoren – sie sollen Ärzte überzeugen, den Sprung in die digitale Praxiswelt zu wagen.

Mehr Arzt, weniger Administration?

Eterno verspricht eine Entlastung überforderter Mediziner. Personal, Abrechnung, IT, Telefon: Alles kommt aus einer Hand. Das klingt effizient, wirft aber auch Fragen auf. Entsteht hier ein neues Abhängigkeitsverhältnis? Verliert der Arzt als Unternehmer seine Eigenständigkeit?

Oder wird endlich das erledigt, was Jahrzehnte verschlafen wurde: die echte digitale Modernisierung des deutschen Gesundheitssystems?

Noch sind es nur drei Standorte. Doch das Modell wirkt skalierbar – und der Bedarf nach modernen Lösungen ist groß. Eterno ist nicht nur ein Coworking-Modell für Ärzte. Es ist ein Angriff auf das Silodenken in der ambulanten Versorgung.

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