Wenn Kredit nicht mehr von der Bank kommt
Die Geschichte ist fast paradox: Während Banken sich aus der Kreditvergabe an den Mittelstand zunehmend zurückziehen, füllen alternative Finanzierer das entstandene Vakuum – mit Rekordtempo.
Private Debt, lange Zeit ein Spezialsegment für versierte Institutionelle, entwickelt sich zur tragenden Säule der Unternehmensfinanzierung. Über zwei Billionen US-Dollar verwaltetes Vermögen und ein prognostizierter globaler Finanzierungsbedarf von 90 Billionen in der kommenden Dekade sprechen eine klare Sprache.
Doch das boomende Segment steht an einem kritischen Punkt – es wächst nicht nur in Breite, sondern auch in Komplexität, Wettbewerb und Risiko.
Vom Schattenmarkt zum Mainstream
Vier von fünf führenden Private-Debt-Managern erwarten in den kommenden Jahren einen deutlichen Zuwachs an Wettbewerbern. Noch bemerkenswerter: 87 % gehen davon aus, dass das Anlegerinteresse weiter zunimmt – vor allem im Wealth-Management.
Damit verschiebt sich der Fokus weg von Pensionskassen und Versicherern hin zu vermögenden Privatinvestoren, die zunehmend Anteile an einer bislang schwer zugänglichen Renditequelle beanspruchen.

Die Branche antwortet mit semiliquiden Fondsstrukturen – Vehikeln, die mehr Flexibilität als klassische geschlossene Fonds bieten, aber weiterhin Rückgaben stark begrenzen. Sie sind das Entgegenkommen der Branche an eine Klientel, die Liquidität erwartet, ohne die Komplexität der Anlageklasse vollständig zu durchdringen.
Kredit mit Beipackzettel
Doch Euphorie allein trägt kein Portfolio. Mehr als die Hälfte der Private-Debt-Manager rechnet mit einem Anstieg der Verlustquoten. Zwischen 10 und 50 Basispunkte, in manchen Fällen darüber hinaus.
Die zunehmende Breite der Kreditvergabe – bis hin zu komplexeren, illiquiden Konstrukten wie Asset-based Finance oder Infrastruktur-Debt – bringt zwangsläufig auch eine neue Qualität des Risikos mit sich. Gleichzeitig deuten sich erste Risse bei den Spreads an: 40 % der Befragten erwarten eine Ausweitung im Direct Lending.
Hinzu kommt ein Margendruck, der vor allem US-Anbieter trifft. Dort rechnen fast zwei Drittel mit sinkenden Gebühren. Europa wirkt stabiler – noch. Doch auch hier gilt: Größere Fonds, stärkere Skaleneffekte, mehr Verhandlungsmacht auf Investorenseite.
„Gebührenverhandlungen sind kein Nebenschauplatz mehr, sondern Kernbestandteil des Spiels“, sagt Tamsin Coleman von Mercer. Ihr Hinweis: Wer skaliert, kann sinkende Margen verkraften – und sich über Volumen refinanzieren.
Mid-Market als Wohlfühlzone
Trotz intensiver Marktveränderungen bleibt das Herzstück stabil: Der Mid-Market-Bereich – Unternehmen mit einem Ebitda zwischen 20 und 50 Millionen US-Dollar – bleibt das bevorzugte Spielfeld.
Hier glauben die meisten Manager weiterhin an die besten risikoadjustierten Renditen. In einem zunehmend fragmentierten Markt ist dieser Bereich vergleichsweise transparent, vergleichbar und bewährt – mit einem stabilen Dealflow und kalkulierbarem Risiko.

Zugleich öffnet sich die Branche neuen Spielwiesen: Asset-based Finance (65 %), europäisches Direct Lending (37 %) und Infrastruktur-Debt (35 %) stehen ganz oben auf der Liste künftiger Investitionsziele.
Das zeigt nicht nur die Suche nach Diversifikation, sondern auch den Willen, Private Debt als strukturelle Lösung für langfristige Kapitalbedarfe zu etablieren – jenseits von Firmenkrediten.
Mehr Geld, mehr Risiken – und mehr Verantwortung
Die strukturelle Verlagerung von Kreditvergabe in private Hände hat enorme Auswirkungen auf die Finanzarchitektur – auch politisch. Wo früher Banken unter Regulierungsaufsicht operierten, entscheiden heute Fondsmanager, oft unter dem Radar.
Für Investoren ist das Chance und Risiko zugleich. Die Illiquiditätsprämie lockt, doch sie ist kein Freifahrtschein. Wer mitspielen will, braucht Zugang, Expertise – und starke Partner.
Denn eines zeigt sich jetzt schon: Im neuen Zeitalter der Kreditvergabe wird nicht der gewinnen, der das meiste Kapital verwaltet – sondern der, der mit Weitblick, Disziplin und Risikoverständnis agiert. Private Debt ist kein Selbstläufer. Es ist das nächste große Spielfeld – mit eigenen Regeln.
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