Die europäische Autoindustrie bekommt politische Rückendeckung – und scharfe Kritik von Ökonomen. Die absehbare Abkehr vom Verbrenner-Aus ab 2035 stößt bei führenden Wirtschaftsforschern auf deutliche Skepsis. Statt Entlastung für Hersteller und Beschäftigte sehen sie wachsende Unsicherheit, gebremste Investitionen und einen strategischen Rückschritt gegenüber China.

Die Lockerung soll helfen, könnte aber schaden
Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hält wenig von der Idee, das Verbrenner-Aus zu relativieren. Die Hoffnung, damit Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern, sei trügerisch. „Ich fürchte, das Gegenteil ist der Fall“, sagte Schnitzer. Eine Abkehr vom klaren Ziel sende widersprüchliche Signale an Unternehmen, die längst Milliarden in neue Antriebstechnologien investiert hätten.
Der vermeintliche Vorteil deutscher Hersteller bei klassischen Verbrennungsmotoren sei begrenzt. Er könne allenfalls kurzfristig wirken, langfristig aber Investitionen in Zukunftstechnologien verzögern – mit negativen Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit.
Die Industrie hat sich längst umgestellt
Mehrere Ökonomen verweisen darauf, dass die politische Debatte die Realität der Unternehmen verfehlt. Viele Hersteller investieren bereits kaum noch in neue Benzin- oder Dieselmotoren. Neue Verbrennermodelle seien daher ohnehin unwahrscheinlich, unabhängig von regulatorischen Anpassungen.
Anita Wölfl vom Ifo-Institut kritisiert die jahrelang verfolgte Doppelstrategie aus Elektro- und Verbrennertechnologie. Diese rechne sich auf Dauer nicht. Die Industrie habe faktisch entschieden – die Politik drohe nun, hinterherzulaufen.
Technologische Rückstände sind das eigentliche Problem
Sebastian Dullien von der Hans-Böckler-Stiftung sieht die Ursachen der aktuellen Schwäche deutscher Autobauer nicht im Verbrenner-Aus. Entscheidend seien technologische Defizite, etwa bei Batteriezellen, Software und Skalierung. Die Debatte über 2035 lenke von diesen strukturellen Problemen ab.

Dullien stellt auch die Frage nach den Motiven des Managements. Ob kurzfristige Margensicherung oder langfristige Industrieinteressen im Vordergrund stünden, sei keineswegs klar. Eine politische Lockerung könne Versuchungen verstärken, notwendige Transformationen weiter aufzuschieben.
Symbolpolitik statt Industriestrategie
Thomas Puls vom Institut der deutschen Wirtschaft spricht von einer Symboldebatte. Für die meisten Anwendungen seien Elektroautos und Plug-in-Hybride bis 2035 ohnehin die wirtschaftlich und technologisch bessere Lösung. Eine regulatorische Kehrtwende ändere daran wenig, erhöhe aber die Unsicherheit.
Gerade diese Unsicherheit gilt unter Ökonomen als größtes Risiko. Investitionsentscheidungen in der Autoindustrie werden über Jahre getroffen. Wer heute nicht weiß, welche Regeln morgen gelten, investiert zurückhaltender.
China profitiert von Europas Zögern
Besonders scharf fällt die Kritik von Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer aus. Er warnt vor einem wachsenden Abstand zu China. Während Europa über Zielverschiebungen debattiere, investierten chinesische Hersteller konsequent in Elektromobilität, Batterietechnik und Skaleneffekte. Eine Verwässerung der EU-Vorgaben sei „eine Katastrophe“.
Die Gefahr: Europa verliert nicht nur technologische Führungsansprüche, sondern auch industrielle Wertschöpfung. Wer den Übergang verzögert, überlässt Märkte jenen, die ihn entschlossener gestalten.
Die Kommission steht vor einer Grundsatzentscheidung
Die EU-Kommission plant nach derzeitigen Informationen, auch nach 2035 Neuwagen mit Verbrennungstechnologie zuzulassen. Formal wäre das eine Abkehr vom bisherigen Ziel der vollständigen CO₂-Neutralität im Neuwagenmarkt.
Ökonomen sehen darin weniger Pragmatismus als strategische Unschärfe. Die Industrie brauche keine neuen Übergangsdebatten, sondern verlässliche Leitplanken. Transformation lasse sich nicht durch politische Rückzugsgefechte erleichtern.
Am Ende steht eine unbequeme Erkenntnis: Das Verbrenner-Aus ist weniger das Problem der Autoindustrie als der Umgang mit ihm. Wer Ziele ständig infrage stellt, riskiert genau das, was er zu vermeiden vorgibt – den Verlust von Investitionen, Jobs und technologischer Relevanz.



