Ein Abgang, der nicht allein kommt
Der Kursverlust war brutal, die Nachricht dahinter noch viel gravierender. UnitedHealth, größter Krankenversicherer der USA und Schwergewicht im Dow Jones, hat mit einem doppelten Paukenschlag die Märkte überrascht: CEO Andrew Witty tritt mit sofortiger Wirkung zurück – und mit ihm auch die Jahresprognose.
Als Grund nennt das Unternehmen „unerwartet hohe Kosten im Behandlungsbereich“. An der Börse verloren die Aktien am Dienstag zeitweise über neun Prozent.
Rückkehr eines alten Bekannten
An Wittys Stelle kehrt nun ein alter Bekannter zurück: Stephen Hemsley, der bereits von 2006 bis 2017 an der Spitze stand, übernimmt erneut das Steuer. Sein Comeback – so hofft der Aufsichtsrat – soll Stabilität bringen.
Doch Beobachter sehen vor allem eines: ein Unternehmen im Krisenmodus. Dass der Konzern binnen eines Tages sowohl seinen Chef austauscht als auch die eigene Gewinnprognose einkassiert, ist für viele ein Warnsignal.
Kostenexplosion bei medizinischen Leistungen
Die Begründung für den Rückzieher bei den Finanzzielen: Die Ausgaben für Behandlungen hätten sich „unerwartet“ erhöht. Hinter vorgehaltener Hand sprechen Analysten von steigenden Kosten durch neue, teure Therapien, demografischen Verschiebungen und einem überhitzten US-Gesundheitsmarkt.
Hinzu kommt: Seit der Pandemie sind viele Patientinnen und Patienten mit aufgeschobenen Eingriffen zurück in die Versorgung gekommen – mit komplexeren Krankheitsbildern und höheren Kosten.
„Dass man ein ganzes Gewinnziel kippt, zeigt, dass die Abweichung erheblich ist – nicht kosmetisch“, sagt ein Healthcare-Analyst eines großen Wall-Street-Hauses im Gespräch mit der InvestmentWeek. Viele Investoren dürften sich nun fragen, wie belastbar die interne Steuerung bei UnitedHealth überhaupt noch ist.
Vertrauenskrise statt Turnaround
Stephen Hemsley, der nun zurückkehrt, genießt intern hohen Respekt. Unter seiner Führung hatte UnitedHealth den Aufstieg zum mächtigsten Krankenversicherer der USA vollzogen – und galt lange als Blaupause für effizientes Versicherungsmanagement.

Doch seine Rückkehr ist ein zweischneidiges Schwert: Sie steht für Kontinuität – aber auch für einen Mangel an strategischer Nachfolgeplanung.
Dass das Unternehmen so abrupt auf personelle Notmaßnahmen zurückgreifen muss, wirft Fragen auf: Warum war kein geeigneter interner Kandidat verfügbar? Und warum verlässt Witty den Konzern wirklich?
Schock an der Börse – Vertrauen bröckelt
Anleger reagierten nervös. Im vorbörslichen US-Handel verlor die UnitedHealth-Aktie knapp 9 %, in der Spitze über 30 Milliarden Dollar an Börsenwert. Auch andere Gesundheitswerte gerieten unter Druck – aus Sorge, dass auch bei ihnen versteckte Kostenrisiken lauern könnten.
Die Unsicherheit dürfte anhalten: Die bislang gestrichene Prognose für das Gesamtjahr wurde nicht ersetzt. Neue Ziele wolle man „erst nach erneuter Lagebewertung“ vorlegen – ein Satz, der den Kapitalmarkt selten beruhigt.
Wachstumsmotor in Gefahr
UnitedHealth ist nicht irgendein Unternehmen: Mit über 400 Milliarden Dollar Umsatz und mehr als 400.000 Mitarbeitenden gehört der Konzern zu den Giganten des US-Gesundheitswesens.
Er betreibt sowohl klassische Krankenversicherungen als auch einen eigenen Bereich für medizinische Leistungen („Optum“) – ein Geschäftsmodell, das bislang als besonders resilient galt.
Doch genau diese vertikale Integration könnte sich nun als Risikofaktor erweisen: Wenn die Behandlungskosten innerhalb der eigenen Strukturen eskalieren, lassen sich diese nicht einfach auf Dritte abwälzen.
Blick nach Washington – politische Risiken nehmen zu
Zuletzt hatte sich UnitedHealth zunehmend auch regulatorischen Herausforderungen gegenübergesehen. Die US-Regierung prüft schärfere Eingriffe in Medicare Advantage – das boomende Geschäftsfeld, in dem private Anbieter Seniorenversicherungen anbieten. Neue Richtlinien könnten ab 2026 die Margen deutlich schmälern.
Gleichzeitig nimmt die politische Rhetorik gegen Gesundheitsriesen zu – sowohl im Wahlkampf der Demokraten als auch bei Teilen der Republikaner. Eine öffentliche Diskussion über „überhöhte Behandlungskosten“ oder „Marktmacht bei Medikamenten“ könnte die Debatte weiter aufladen.
Hemsley bekommt die schwerste Aufgabe seiner Karriere
Der neue – alte – CEO steht vor einem Scherbenhaufen aus verpassten Kostenprognosen, Vertrauensverlust und wachsendem politischen Druck. Ob Stephen Hemsley seine einstige Erfolgsformel erneut zünden kann, ist offen. Klar ist nur: Der Bonus des Rückkehrers wird nicht lange tragen. Die Märkte wollen Ergebnisse – keine Nostalgie.
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