Drei Klagen an einem Tag
Der Ton zwischen Walldorf und München ist rauer geworden. Der Softwareanbieter Celonis hat gleich drei neue Klagen gegen seinen deutlich größeren Rivalen SAP eingereicht – in Texas, vor dem Landgericht München und beim Einheitlichen Patentgericht der EU.
Der Vorwurf: SAP soll mehrere Patente verletzt haben, die sich auf zentrale Technologien zur Analyse, Auswertung und Optimierung von Geschäftsprozessen beziehen – also auf das Kerngeschäft von Celonis. Besonders im Fokus steht SAPs Konkurrenzprodukt, die Signavio Process Transformation Suite, die nach der Übernahme von Signavio 2021 zu einem Kernstück der SAP-Cloudstrategie geworden ist.
„Der Schutz unseres geistigen Eigentums ist unerlässlich“, teilte Celonis mit. Man lasse sich „von den Versuchen, den Wettbewerb durch unbegründete Klagen zu behindern, nicht einschüchtern“.
Der Gegenschlag auf Delaware
Die neuen Klagen sind nicht aus dem Nichts gekommen. Erst in der Vorwoche hatte SAP im US-Bundesstaat Delaware seinerseits eine Patentklage gegen Celonis eingereicht. Darin wirft SAP dem Münchner Rivalen vor, gegen vier eigene US-Patente verstoßen zu haben – unter anderem im Bereich Ereignisbenachrichtigung und Ähnlichkeitsanalyse von Daten.
Der Zeitpunkt war kein Zufall. Branchenbeobachter sehen darin einen Versuch, Druck aufzubauen, nachdem Celonis SAP bereits im Frühjahr vor einem US-Gericht in San Francisco wegen angeblich wettbewerbswidrigen Praktiken verklagt hatte. Damals ging es um den Vorwurf, SAP habe Celonis nach der Übernahme von Signavio gezielt aus wichtigen Kooperationen gedrängt.
Zehn von elf Punkten wurden zwar zunächst abgewiesen, Celonis reichte jedoch eine überarbeitete Klage ein. SAP reagierte mit einem Antrag auf Abweisung – und wenig später mit einer eigenen Klage in Delaware.
Texas: Der gefährlichste Schauplatz
Brisant ist vor allem die neue Klage von Celonis im Eastern District of Texas – einem Gerichtsbezirk, der in der Tech-Welt berüchtigt ist. Der Grund: Das Gericht gilt als besonders patentinhaberfreundlich und entscheidet in der Regel schneller als andere.
„Wenn Texas an seiner bisherigen Praxis festhält, wird dieser Fall deutlich früher verhandelt als die SAP-Klage in Delaware“, sagt Patentrechtsexperte Florian Müller. Für SAP könnte das riskant werden. Sollte das Gericht zugunsten von Celonis entscheiden, könnte das den Verkauf und die Lizenzierung bestimmter SAP-Produkte beeinträchtigen.
Der Bruch einer Allianz
Dass ausgerechnet Celonis und SAP heute erbitterte Gegner sind, hat eine gewisse Ironie. Noch vor wenigen Jahren galten beide Unternehmen als Paradebeispiel für eine erfolgreiche deutsch-deutsche Tech-Partnerschaft. SAP investierte in Celonis, integrierte dessen Software in die eigene Produktwelt und lobte die Münchner öffentlich als „Innovationspartner“.
Der Bruch kam mit der Übernahme des Wettbewerbers Signavio durch SAP im Jahr 2021. Seitdem konkurrieren beide um dieselbe Kundengruppe: große Unternehmen, die ihre internen Prozesse digitalisieren wollen.
Celonis sah sich plötzlich von der einstigen Partnerin in die Defensive gedrängt – und reagierte mit juristischem Gegenfeuer.
Machtkampf um die Deutungshoheit
Hinter den Klagen steckt mehr als ein Streit um Patente. Es geht um Marktführerschaft in einem der am schnellsten wachsenden Softwaresegmente der Welt: dem Process Mining.
Celonis gilt als Pionier dieser Technologie, die Unternehmensprozesse in Echtzeit auswertet und Optimierungspotenziale sichtbar macht. SAP dagegen will die eigene Cloudplattform mit ähnlichen Funktionen ausstatten – und damit Kontrolle über ein Feld gewinnen, das für die Unternehmenssteuerung der Zukunft entscheidend ist.
Für beide steht viel auf dem Spiel: Celonis mit einer Bewertung von über zehn Milliarden Dollar, SAP mit einem Marktwert von mehr als 180 Milliarden.

Eskalation als Strategie
Branchenkenner Florian Müller sieht die Lage festgefahren: „Im Moment wird eskaliert. Beide Seiten wissen, dass es am Ende auf einen Vergleich hinauslaufen wird – aber sie wollen ihre Verhandlungsposition verbessern.“
Die juristische Strategie erinnert an ein Schachspiel: Jede Klage ist ein Zug, jede Gegenklage eine Reaktion. Beide Konzerne setzen darauf, den Gegner mit Zeit, Kosten und Unsicherheit unter Druck zu setzen.
Wie lange das so weitergeht, ist offen. Insider halten ein Ende frühestens 2026 für realistisch.
Symbol für Europas Tech-Industrie
Der Fall Celonis gegen SAP ist längst mehr als ein unternehmerischer Machtkampf. Er steht sinnbildlich für den Zustand der europäischen Tech-Branche: ambitionierte Start-ups auf der einen, etablierte Industriekonzerne auf der anderen Seite – und dazwischen ein regulatorisches und juristisches Umfeld, das Innovation fördern, aber auch lähmen kann.
Für Celonis ist der Ausgang des Verfahrens existenziell. Für SAP geht es um mehr als ein paar Patente – es geht um Reputation. Wenn Europas größter Softwarekonzern in die Rolle des „Kopierers“ gedrängt wird, kratzt das am Selbstverständnis des einstigen Digitalpioniers aus Walldorf.
Ein Streit mit Signalwirkung
Noch ist offen, wer am Ende Recht behält. Sicher ist nur: Der Konflikt zwischen SAP und Celonis wird zum Präzedenzfall. Er zeigt, dass in einer digitalisierten Welt geistiges Eigentum längst zur härtesten Währung geworden ist – und dass selbst zwei deutsche Vorzeigeunternehmen nicht davor gefeit sind, diesen Kampf auf offener Bühne auszutragen.
Was einst eine Partnerschaft war, ist heute ein Lehrstück über Macht, Eitelkeit und die Schattenseiten technologischer Rivalität. Und eines ist sicher: Wenn dieser Streit endet, wird einer der beiden Sieger sein – aber keiner unversehrt.
