Ein Bündnis bröckelt – und kostet Milliarden
Die Zahlen sind gewaltig – und sie markieren eine Zeitenwende. Renault muss im ersten Halbjahr 2025 einen außerordentlichen Verlust von 9,5 Milliarden Euro verbuchen. Grund ist eine massive Wertminderung auf die Beteiligung am langjährigen Partner Nissan. Was einst als strategische Allianz mit weltweiter Schlagkraft galt, ist heute ein Klotz am Bein – bilanziell wie symbolisch.
Renault hält derzeit noch 35,7 Prozent an Nissan, davon gut 17 Prozent direkt, der Rest liegt in einem Trust. Doch der Wert dieser Beteiligung ist zuletzt dramatisch gefallen.
Die Franzosen reagieren nun mit einer radikalen Neuregelung: Künftig wird die Nissan-Beteiligung auf Basis des Aktienkurses im Eigenkapital bilanziert – Wertveränderungen beeinflussen dann zwar nicht mehr den Gewinn, aber sie zeigen ungeschminkt, wie fragil die Partnerschaft geworden ist.
Von Allianz zur Abschreibung: Das Ende eines Industrieversprechens
Als Renault Ende der 1990er Jahre bei Nissan einstieg, schien die Formel ideal: französisches Kapital trifft auf japanische Ingenieurskunst. Über zwei Jahrzehnte war das Bündnis eines der ungewöhnlichsten und zugleich erfolgreichsten der Branche.
Carlos Ghosn, der langjährige Konzernchef beider Unternehmen, galt als Architekt eines beispiellosen globalen Automobilverbunds.
Doch spätestens seit Ghosns spektakulärem Sturz 2018 wackelt das Fundament. Die Beziehungen kühlten merklich ab, Nissan emanzipierte sich, Renault verlor Einfluss – und Vertrauen. Dass Nissan zuletzt mit schwachen Zahlen, strategischer Unschärfe und interner Zerrissenheit auffiel, beschleunigte den Niedergang der Allianz.
Renaults Bilanz unter Druck – aber keine Gefahr für Dividende
Trotz des bilanziellen Knalls versucht Renault, die Wogen zu glätten. Die Wertminderung werde zwar als außerordentlicher Verlust ausgewiesen, habe jedoch keine Auswirkungen auf Dividenden oder operatives Ergebnis, heißt es aus Unternehmenskreisen.
Künftig sollen Veränderungen im Beteiligungswert direkt im Eigenkapital berücksichtigt werden – eine elegante, aber auch ernüchternde Lösung.
Denn was nüchtern als buchhalterischer Effekt daherkommt, ist wirtschaftlich gesehen ein Offenbarungseid. Renault gesteht sich ein: Die Nissan-Beteiligung ist nicht mehr das, was sie einmal war – weder strategisch noch finanziell. Mit dem aktuellen Schritt trennt man sich innerlich endgültig vom Mythos der „Allianz“, auch wenn die Restbeteiligung formal weiter besteht.
Nissan im Sinkflug – Renault zieht die Reißleine
Die Entscheidung ist nicht nur ein Rückblick auf Vergangenes, sondern auch eine Reaktion auf das, was bei Nissan bevorsteht. Der japanische Konzern steckt tief im Umbau, ringt mit einem veralteten Modellportfolio, schleppenden Verkäufen und einer wachsenden Abhängigkeit vom Heimatmarkt. Der internationale Expansionskurs früherer Jahre ist kaum noch sichtbar.
Zudem muss Nissan investieren: in Elektromobilität, in Digitalisierung, in neue Märkte. Doch die Mittel dafür sind knapp. Zuletzt wurde bekannt, dass Nissan über alternative Finanzierungsquellen nachdenkt – inklusive möglicher Kapitalmaßnahmen. Für Renault ein weiteres Warnsignal.
Strategische Neuausrichtung: Renault will sich lösen
Die Wertminderung passt in eine größere Bewegung: Renault will sich seit einiger Zeit unabhängiger aufstellen.
Die neue Konzernstrategie „Renaulution“ sieht vor, dass sich das Unternehmen stärker auf margenstarke Bereiche wie Elektromobilität, Software und das eigene Tochterunternehmen Ampere konzentriert. Die Beteiligung an Nissan ist in diesem Bild zunehmend überflüssig – wenn nicht sogar hinderlich.
Bereits im vergangenen Jahr hatte Renault begonnen, Anteile an Nissan zu verkaufen. Der vollständige Rückzug ist zwar nicht offiziell angekündigt, aber mittelfristig wohl kaum zu vermeiden. Der Bilanzschnitt ist ein weiterer Schritt in Richtung Entflechtung.
Fragen bleiben – auch an die Struktur europäischer Autokonzerne
Der Vorgang wirft auch über Renault hinaus Fragen auf. Die Wertminderung ist kein Einzelfall, sondern Teil eines größeren Problems: Wie gehen etablierte Autobauer mit Beteiligungen um, die über Jahre als strategische Assets galten – nun aber bilanziell und operativ zur Hypothek werden?
Volkswagen mit seinem China-Portfolio, Mercedes mit seiner engen Kooperation mit Geely – viele europäische Hersteller stehen vor ähnlichen Abwägungen. Die Zeiten des unbegrenzten Wachstums globaler Autoverflechtungen sind vorbei. Bilanzklarheit wird zur Pflicht.
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