Hochbett statt Höhenflug: Das Comeback der Schlafwagen – mit Start-up-Charme
Die Idee klingt verlockend: Abends in Berlin einsteigen, morgens in Barcelona ausgeruht ankommen. Kein Stress am Flughafen, kein Boarding-Chaos, kein CO₂-Fußabdruck. Sondern: schlafen, ankommen, arbeiten.
Genau das verspricht das Berliner Start-up Nox. Und wer auf die Reaktionen in den sozialen Medien blickt, könnte meinen, hier rollt ein neuer Tesla der Schiene an.

Doch bevor sich die neue Nachtzugromantik materialisiert, steht ein Wort im Raum, das in der Bahnbranche allgegenwärtig ist: Wirklichkeit.
Viel Zuspruch, wenig Substanz
Seit der LinkedIn-Ankündigung von Mitgründer Thibault Constant vor wenigen Tagen überschlagen sich die positiven Reaktionen. Tausende Kommentare, Likes, Weiterleitungen.
Die Vision: ein Zug voller Privatkabinen, alles Einzel- oder Doppelzimmer, in Holzoptik mit WLAN, Tisch und Arbeitslicht – aber ohne Sitzplätze, ohne Gemeinschaftstoiletten, ohne Dusche. Der Zielkunde: der 28-jährige Consultant auf Europa-Tour.
Die Realität? Nox ist derzeit nicht einmal als GmbH eingetragen. Es gibt keine abgeschlossenen Finanzierungsrunden, keine Verträge mit Leasingpartnern, keinen Trassenplan, keine betriebsfertigen Waggons.
Der Nachtzugmarkt: kaum liberal, kaum skalierbar
Die Begeisterung für Nachtzüge ist nicht neu. Bereits European Sleeper, Nightjet oder Midnight Trains aus Frankreich haben gezeigt, dass Nachfrage da ist – nur scheitert es regelmäßig an der Umsetzung.
Denn die Infrastruktur bremst. In Europa fehlen Schlafwagen in ausreichender Zahl, die Waggonhersteller haben sich aus dem Markt zurückgezogen, weil die Stückzahlen zu niedrig sind. Wer heute neue Schlafwagen bauen lassen will, wartet Jahre und zahlt Manufakturpreise.
Dazu kommen regulatorische Hürden: Ein Schlafwagen, der über Landesgrenzen fährt, muss oft separat für jedes Land zugelassen werden – samt unterschiedlichen Signal-, Sicherheits- und Bremssystemen. Das dauert – und kostet.
Ein Hotel auf Schienen – aber ohne Bettenfabrik
Nox will den Engpass überbrücken, indem es gebrauchte Schlafwagen aus Osteuropa einkauft und sie aufwendig umbaut. Eine „niedrige zweistellige Anzahl“ soll für den Start bereitstehen. Doch selbst Gründer Janek Smalla sagt offen: „Ohne Neufahrzeuge wird es langfristig nicht gehen.“ Woher diese kommen sollen? Noch unklar.
Hinzu kommt: Die Konkurrenz – etwa die österreichische ÖBB mit ihrem Nightjet – nutzt bereits jahrzehntealte, generalüberholte Waggons. Der Markt ist leergefegt. Jeder Nachtzuganbieter sucht gleichzeitig nach denselben Ressourcen. Und: Die Nachfrage der Staatsbahnen hat oft Vorrang bei Herstellern und Leasingfirmen.
Der größte Gegner rollt nicht – er baut
Selbst wenn Waggons vorhanden wären: Das nächste Problem heißt Bauarbeiten. In Deutschland sind über 1.000 Streckenbaustellen täglich aktiv, die meisten davon in der Nacht.
Genau dann sollen die Nox-Züge rollen. Internationale Routen lassen kaum Spielraum für spontane Umleitungen – wer nicht rechtzeitig in Paris, Zürich oder Prag einfährt, fliegt aus dem Slot.
Zwar plant Nox mit langen Pufferzeiten, aber auch das kostet Geld – und Vertrauen. Für die Branche ist das Nadelöhr „verfügbare Trasse“ heute eines der zentralen Wachstumshemmnisse. Solange die Generalsanierung der Bahn-Infrastruktur bis 2035 läuft, wird sich daran wenig ändern.
Kalkulierte Euphorie – oder PR auf Vorrat?
Nox scheint sich dessen bewusst – und hat deshalb früh den „Markttest“ gewagt. Über 10.000 Datensätze will das Start-up binnen weniger Tage gesammelt haben. Eine kluge Strategie: Noch ohne Produkt, aber mit maximaler Sichtbarkeit. Gründer Smalla – einst bei Flixtrain – kennt das Spiel. Nur: Sichtbarkeit ersetzt keine Finanzierung.
Ein Milliardeninvestment nennt Smalla das Vorhaben. Banken sollen Wagen und Strecken finanzieren, Investoren Wagniskapital für Marke, Plattform und Skalierung bereitstellen. Doch aktuell, so der Gründer selbst, sei man davon „noch ein gutes Stück entfernt“.
Privat statt öffentlich: die neue Bahn-Vision?
Trotz aller Hürden ist die Idee nicht unrealistisch – zumindest nicht in ihren Grundzügen. Die Zielgruppe, die Nox im Blick hat – junge Berufstätige mit digitalem Lebensstil, Reisefreude und Nachhaltigkeitsbewusstsein – ist real. Die Bereitschaft, fürs Fliegen auf Komfort zu verzichten, wächst – und mit ihr der Markt für Alternativen.
Wenn Nox gelingt, was viele andere nicht geschafft haben – durch kluge Partnerschaften, gutes Marketing und Timing –, könnte daraus tatsächlich ein neues Kapitel der Nachtzugmobilität entstehen. Aber bis dahin gilt: Kein Zug fährt ohne Schiene. Und keine Schiene ohne Plan.
Gute Idee, schwieriges Terrain
Die Wiederbelebung der Nachtzüge ist ein Projekt, das Infrastruktur, Geduld und Kapital braucht. Nox bringt Charme, Know-how und Aufmerksamkeit mit – doch die eigentlichen Herausforderungen liegen im Rollmaterial, den Genehmigungen und dem Netz.
Solange Europa seine Schienenpolitik nicht konsequent reformiert und neue Anbieter systematisch unterstützt, bleibt das Nachtzuggeschäft eine gute Geschichte – mit ungewissem Ausgang.
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