Ein Eingriff mit Sprengkraft
Die Nachricht traf die Märkte an einem gewöhnlichen Oktobertag – die Reaktion war alles andere als gewöhnlich. Seit MSCI ankündigte, den Umgang mit Unternehmen zu überdenken, deren Bilanz im Kern aus Bitcoin besteht, bröckelt der Kurs von MicroStrategy in einem Tempo, das selbst erfahrene Tech-Investoren zusammenzucken lässt. 46 Prozent Verlust seit Oktober, weitere Minusmeldungen im Wochenrhythmus: Der Markt hat verstanden, dass diese Prüfung kein technisches Fußnotenthema ist, sondern ein potenzieller Sturm auf die Kapitalbasis.
Was MSCI eigentlich prüft
Die Überlegung ist simpel formuliert, aber tiefgreifend in der Wirkung. Unternehmen, deren digitale Vermögenswerte mindestens die Hälfte der Bilanzsumme ausmachen, könnten aus den Global Investable Market Indexes verschwinden. Eine Kategorie, die MSCI nun klar benennt: Digital Asset Treasury Companies – Firmen also, die Bitcoin nicht als strategisches Nebenprodukt halten, sondern ihr Geschäftsmodell faktisch darauf aufbauen.
Für MicroStrategy, heute unter dem Namen „Strategy“ gelistet, wäre ein Ausschluss kein kosmetischer Makel. Er würde das Unternehmen aus Fondsstrukturen werfen, die strikt indexgebunden investieren müssen. Und genau da beginnt das Risiko zu eskalieren.
Milliarden, die still im Hintergrund warten
JPMorgan beziffert den Anteil passiver Anleger an MicroStrategys Marktkapitalisierung auf rund neun Milliarden US-Dollar. Ein Ausschluss aus MSCI-Indizes könnte 2,8 Milliarden Dollar an automatischen Abflüssen nach sich ziehen. Falls andere Indexanbieter wie NASDAQ oder FTSE Russell nachziehen, könnte der Effekt nahezu dreimal so groß ausfallen.
Diese Summen sind keine Schätzungen für eine ferne Zukunft, sondern Szenarien, die ab Februar Realität werden könnten. Die Konsultation endet am 31. Dezember, am 15. Januar fällt die Entscheidung. Zeit, um gegenzusteuern, gibt es also kaum.

Ein Unternehmen, das wie ein Bitcoin-ETF agiert – aber keines ist
Dass MicroStrategy in diese Lage geraten ist, hat eine simple Ursache: Das Unternehmen hat sich über Jahre vom klassischen Softwareanbieter in ein Bitcoin-Vehikel verwandelt. Die Bilanz ist mit digitalen Vermögenswerten vollgepackt, die operative Aktivität spielt nur noch eine Nebenrolle. Für MSCI stellt sich damit die Frage, ob das Unternehmen noch ins Raster eines Aktienindex passt – oder ob es faktisch ein Fonds ist, der zufällig an der Börse notiert.
Für Anleger ist diese Debatte mehr als theoretisch. Die Aktie reagiert inzwischen stärker auf Bitcoin-Schwankungen als viele Kryptotoken selbst. Und der Druck steigt: Ein Current Ratio von 0,66 zeigt, dass kurzfristige Verpflichtungen größer sind als die liquiden Mittel. Kapitalmarktstress käme also zur Unzeit.
Metaplanet: Der stille Parallelfall
Nicht nur MicroStrategy steht im Visier. Das japanische Unternehmen Metaplanet – ebenfalls ein Bitcoin-Halter – wurde von MSCI bereits aus dem November-Review ausgeschlossen. Auch hier: zweistellige Kursverluste, seit die Prüfung läuft. Die Botschaft ist klar: MSCI meint es ernst.
Für Anleger ist Metaplanet der Vorbote dessen, was MicroStrategy im schlimmsten Fall droht – ein Abschneiden von Indexzuflüssen und eine höhere Abhängigkeit von spekulativem Kapital.
Analysten bleiben erstaunlich optimistisch
Trotz aller Risiken bleibt eine bemerkenswerte Gegenbewegung bestehen. Analysten – laut TipRanks zwölfmal „Buy“ und zweimal „Hold“ – sehen bei MicroStrategy ein theoretisches Potenzial von über 200 Prozent. Das ist kein Euphorie-Votum, sondern Ausdruck eines einfachen Gedankens: Wenn Bitcoin steigt, steigt MicroStrategy stärker. Doch diese Logik setzt voraus, dass das Unternehmen weiterhin problemlos Kapital beschaffen kann.
Ein Index-Ausschluss würde diese Stabilität infrage stellen.

Ein Risiko, das weit über einen einzelnen Titel hinausgeht
Für passive Investoren, für ETF-Anbieter und auch für institutionelle Anleger stellt sich nun eine grundsätzliche Frage: Was macht ein Unternehmen noch zu einem Unternehmen, wenn sein Bestand im Kern aus einem einzigen spekulativen Asset besteht?
MSCI testet die Antwort erstmals auf Regelwerk-Ebene. Und wie oft in der Finanzwelt gilt: Wenn ein großer Anbieter vorgeht, folgen andere.
Der Januar entscheidet
Während Analysten Kursziele heben und Anleger nervös die Charts verfolgen, läuft im Hintergrund eine strukturelle Debatte, die nicht nur MicroStrategy betrifft. Es geht darum, wie viel Krypto-Exposure klassische Aktienindizes zulassen sollen – und wo die Grenze zwischen Unternehmensstrategie und Fondsstruktur liegt.
Für MicroStrategy und Metaplanet ist diese Diskussion existenziell. Für Anleger ist sie ein Stresstest: Wie viel Bitcoin will man im eigenen Portfolio wirklich – und wie viel davon unbewusst über Indexprodukte?
Die Antwort gibt es im Januar. Und die Märkte haben jetzt schon entschieden, dass sie dafür lieber etwas Abstand halten.



