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Im Jahr 2005 klickt sich ein junger Postdoktorand namens Derrick Rossi durch aktuelle Forschungsliteratur. Er stößt auf eine Arbeit von Katalin Karikó und Drew Weissman zur Immunaktivierung durch modifizierte RNA – ein bis dahin weitgehend übersehenes Thema. Rossi aber erkennt: Was hier beschrieben wird, könnte Medizin verändern.
Zunächst denkt er nicht an Impfstoffe. Sein Ziel ist es, adulte Zellen mithilfe von mRNA in eine Art künstliche Stammzelle zu verwandeln – eine ethisch unbedenkliche Alternative zur Embryonenforschung. 2009 gelingt ihm ein Durchbruch im Labor, der zum Grundstein für etwas viel Größeres wird.
Ein Start-up mit Nobelpreis-Wurzeln
2010 wird „ModeRNA Therapeutics“ gegründet – mit Rossi, Biotech-Veteran Timothy Springer, dem MIT-Professor Robert Langer und Risikokapitalgeber Noubar Afeyan. Später stößt der Kardiologe Kenneth Chien dazu.
Von Anfang an ist klar: Diese Firma will nicht einfach Medikamente entwickeln, sie will die Grundlagen der modernen Medizin neu schreiben.
Doch es dauert. Und es kracht. Rossi verlässt das Unternehmen 2014 im Streit. Zu groß sind die Differenzen über Strategie und Ehre – wer hat was entdeckt, wer versteht die Technologie wirklich?
Ein Gründungsmythos beginnt sich zu verselbstständigen. Und Moderna muss zeigen, dass es mehr ist als ein akademisches Experiment.
Ein Molekül mit Tücken
Die mRNA ist instabil, empfindlich, schwer zu kontrollieren. Die Forscher bei Moderna entwickeln spezielle Transporthüllen – Lipid-Nanopartikel – um die zerbrechliche Fracht sicher in menschliche Zellen zu bringen. 2017 wird erstmals ein Kombinationsimpfstoff gegen zwei Atemwegserkrankungen am Menschen getestet.
Der große Durchbruch lässt dennoch auf sich warten. Bis 2020 macht Moderna Verluste in Milliardenhöhe. Dennoch geht das Unternehmen 2018 an die Börse – mit dem bis dahin größten IPO in der Geschichte der Biotech-Branche.
Dann kommt COVID-19 – und alles ändert sich
Als das Coronavirus die Welt lahmlegt, ist Moderna vorbereitet wie kaum ein anderer. Innerhalb weniger Wochen entwickelt das Unternehmen ein mRNA-Vakzin. Bereits im ersten Quartal 2021 schreibt Moderna schwarze Zahlen. Aus einem Biotech-Start-up wird ein Impfstoffkonzern mit weltweiter Bedeutung.
Die Zahlen sind beeindruckend: 2021 erzielt Moderna einen Umsatz von 17,7 Milliarden US-Dollar und einen Gewinn von 12,2 Milliarden. 807 Millionen Dosen COVID-Impfstoff werden ausgeliefert – rund ein Viertel davon an ärmere Länder.
Ein Werk für die Zukunft – und neue Märkte
Im kanadischen Laval baut Moderna eine eigene Produktionsstätte. 100 Millionen Dosen jährlich sollen dort ab 2025 produziert werden – nicht nur gegen Corona, sondern auch gegen Grippe und RSV. Die Zusammenarbeit mit der kanadischen Regierung soll langfristige Versorgung sichern.
Parallel dazu intensiviert das Unternehmen seine Forschungsallianzen – etwa mit der Universität Toronto. Ziel: mRNA-Plattformen für ganz neue Anwendungen. Nicht nur gegen Viren, sondern auch gegen Krebs oder chronische Krankheiten.
mRNA ohne Pandemie – funktioniert das?
Nach dem Boom kam der Dämpfer. 2023 bricht die Impfstoffnachfrage ein, der Umsatz sinkt. Kritiker fragen sich: War Moderna nur ein Pandemie-Gewinner? Die Antwort ist kompliziert.
Zwar hat das Unternehmen kein zweites Blockbuster-Produkt vorzuweisen – noch nicht. Doch die Pipeline ist voll. Impfstoffe gegen RSV, CMV, Grippe, Herpes, Zika, HIV – alles in Entwicklung. Dazu kommen Kombi-Vakzine und therapeutische Ansätze gegen Krebs, etwa in Partnerschaft mit Merck.
Was bleibt: Pionierarbeit, die weitergeführt wird
Moderna hat in kurzer Zeit eine ganze Technologiebranche mitgeprägt. Die Gründungsgeschichte ist ein Mix aus Wissenschaft, Unternehmertum und Egos. Der Aufstieg war rasant – aber nicht zufällig. Und auch wenn die Corona-Pandemie eine Ausnahmesituation war, bleibt das Unternehmen entschlossen, mRNA zur tragenden Säule der modernen Medizin zu machen.
Ein Startup, das mit Grundlagenforschung begann, wurde zum Global Player. Jetzt muss es beweisen, dass mRNA mehr ist als ein Krisenphänomen. Die nächste Bewährungsprobe kommt bestimmt.
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