09. September, 2025

Startups & VC

Milliardenwette auf die Sonne: Marvel Fusion will das Unmögliche möglich machen

Heike Freund will mit ihrem Münchner Start-up Kernfusion zur Realität machen – trotz offener physikalischer Fragen. Investoren schütten hunderte Millionen in die Vision, während Experten vor Risiken warnen.

Milliardenwette auf die Sonne: Marvel Fusion will das Unmögliche möglich machen
High Risk, High Gain – Siemens Energy und Silicon-Valley-Geldgeber investieren, während der eigene Geschäftsbericht vor „hohen Risiken“ warnt.

Laborkittel, Schutzbrille, Laserstrahlen – es klingt nach Science-Fiction, ist aber Münchens wohl kühnste Energie-Wette. Heike Freund, ehemalige McKinsey-Partnerin ohne Physik-Diplom, will mit Marvel Fusion das größte Energieproblem der Menschheit lösen: sauberen Strom durch Kernfusion.

Ihr Ansatz: ein neuartiger Laser, der Atomkerne verschmelzen soll. Gelingen muss dabei, was in der Physik bislang niemandem gelungen ist: eine stabile, wirtschaftlich tragfähige Energiequelle aus reiner Fusion.

Ein Milliardenmarkt – und ein Münchner Start-up mittendrin

Der weltweite Energiehunger wächst, nicht zuletzt wegen KI-Rechenzentren, die ganze Kraftwerke verschlingen. Venture-Capital-Investoren wittern ein Geschäft wie einst beim Internetboom: über 10 Milliarden Dollar sind bereits in Kernfusionsprojekte geflossen.

Marvel Fusion hat bislang 385 Millionen Euro eingesammelt – ein Betrag, der das Start-up zu den am besten finanzierten Projekten Europas macht. Geldgeber reichen von Silicon Valley bis Siemens Energy.

Riskante Vision – Marvel Fusion verspricht Strom aus Laserfusion, doch führende Physiker halten den Ansatz für physikalisch kaum realisierbar.

Laserkammer statt Elfenbeinturm

Während viele Wettbewerber auf die aufwendige Magnetfusion setzen, geht Marvel den riskanten Laserweg. Wasserstoff und Bor sollten ursprünglich die Fusions-Brennstoffe sein – billiger und leichter skalierbar. Inzwischen spricht man vorsichtiger von „gemischten Brennstoffen“.

Kritiker bemängeln, dass Marvel kaum Fachpublikationen vorlegt. Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik hält den Ansatz für physikalisch nicht machbar. Marvel kontert: Man veröffentliche bewusst wenig, um die eigene Technologie zu schützen.

Abtrünnige Gründer und neue Rivalen

Dass Zweifel nicht nur aus der Forschung kommen, zeigen die eigenen Ex-Kollegen. Markus Roth und Thomas Forner, beide einst bei Marvel, gründeten mit Focused Energy einen Konkurrenten.

Auch sie setzen auf Laserfusion, aber mit klassischem thermischen Ansatz – dem einzigen, bei dem bisher tatsächlich Energie gewonnen wurde. Die Rivalität ist spürbar, die Szene gespalten zwischen Hoffnung, Skepsis und wissenschaftlichem Kleinkrieg.

Politik zwischen Euphorie und Realismus

Die Bundesregierung hat Fusionsenergie inzwischen im Koalitionsvertrag verankert. Forschungsministerin Dorothee Bär will bis Jahresende einen „Aktionsplan Fusion“ präsentieren.

Zwei deutsche Hubs – einer für Laser, einer für Magnetfusion – sollen entstehen. Für Start-ups wie Marvel ist das Rückenwind, aber auch Druck: Erwartungen steigen, Zeitpläne werden enger. Freund peilt an, Mitte der 2030er ein kommerzielles Kraftwerk ans Netz zu bringen. Baukosten: rund 2 Milliarden Dollar.

High Risk, High Gain

Investoren wie Earlybird-Partner Hendrik Brandis sehen Marvel als klassische „High risk, high gain“-Wette. Scheitert die Fusion, könnte die Lasertechnik in Medizin oder Materialforschung genutzt werden. Gelingt der Durchbruch, wäre der Strompreis von fünf Cent pro Kilowattstunde eine Revolution. Siemens Energy hat bereits Millionen investiert – als erster Schritt in eine mögliche neue Industrie.

Zwischen Vision und Realität

Heike Freund wirkt unerschütterlich. Während Fachkollegen ihre Physik in Frage stellen, blättert sie unbeirrt durch PowerPoint-Folien und spricht von Roadmaps, Prototypen und dem „wann, nicht ob“. Marvel hat den wissenschaftlichen Beirat aufgelöst, der Aufsichtsrat besteht vor allem aus Investoren. Kritiker sehen darin Hybris, Befürworter Pragmatismus.

Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen Vision und Größenwahn. Sicher ist nur: Das Wettrennen um die Sonne hat begonnen – und Deutschland ist mit Marvel Fusion ganz vorne mit dabei.

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