27. November, 2025

Unternehmen

Lufthansa Cargo steckt im Streit um ihre Sicherheitskultur

Piloten melden Verstöße an die Aufsicht, das Unternehmen beschwichtigt – und dazwischen wächst ein Konflikt, der grundsätzliche Fragen nach Routine, Verantwortung und Vertrauen im Cockpit aufwirft.

Lufthansa Cargo steckt im Streit um ihre Sicherheitskultur
Piloten werfen Lufthansa Cargo Verstöße gegen interne Sicherheitsvorgaben vor – das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück.

Ein ungewöhnlicher Schritt erschüttert das Verhältnis zwischen Crews und Führung

Eine Anzeige bei der Luftfahrtaufsicht gehört nicht zum üblichen Instrumentarium von Piloten. Doch Mitte September hat die Personalvertretung von Lufthansa Cargo genau diesen Weg gewählt und dem Luftfahrt-Bundesamt (LBA) mutmaßliche Verstöße gegen interne Sicherheitsvorgaben gemeldet. Ein Vorgang ohne Vorbild in der Geschichte des Konzerns – und ein Zeichen dafür, wie tief der Riss inzwischen geht.

Bereits im Juni hatten die Vertreter der Crews die Unternehmensleitung intern über ihre Sorgen informiert. Doch die Antworten des Managements waren nach Darstellung der Piloten zu allgemein, zu defensiv, zu wenig konkret. Als sich dann ausgerechnet der zuständige Safety-&-Compliance-Pilot zurückzog und in einer internen Mail über Widerstände gegen seine Arbeit klagte, eskalierte der Konflikt. Mehr als 300 Pilotinnen und Piloten, aktive wie pensionierte, schrieben daraufhin einen offenen Brief an Vorstand und Aufsichtsrat. Der Tenor: Die Sicherheitskultur des Konzerns sei gefährdet.

Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück – und verweist auf Prüfungen

Der Cargo-Vorstand reagierte schnell. Frank Bauer, zuständig für das operative Geschäft, erklärte gegenüber den Crews, Flugsicherheit stehe über jeder wirtschaftlichen Erwägung. Lufthansa Cargo verweist zudem auf eine aktuelle Iata-Sicherheitsprüfung, bei der keine Verstöße festgestellt worden seien.

Doch die Piloten halten dagegen: Iata prüfe gesetzliche Mindeststandards, nicht die über Jahre gewachsenen internen Regeln, die Lufthansa traditionell höher ansetze. Genau hier lägen die Probleme – und genau hier sehen sie eine schleichende Absenkung von Standards.

Das LBA bestätigt, dass eine Eingabe der Personalvertretung eingegangen ist, äußert sich aber nicht zu Einzelheiten. Der Vorgang läuft weiter im Hintergrund, ohne dass klar wäre, welche Schlussfolgerungen die Behörde ziehen wird.

Hinter dem Streit steht auch ein ambitioniertes Wachstumsprogramm

In Managementkreisen macht eine andere Erklärung die Runde: Der Konflikt sei weniger eine Frage der Sicherheit, sondern eine Reaktion auf das Effizienzprogramm „Bold Moves Strategy“. Es soll Lufthansa Cargo bis 2030 auf Rang drei der globalen Luftfracht verschieben. Mehr Produktivität, mehr Flexibilität, mehr Kapazität – das sind zentrale Elemente der Strategie.

Für die Piloten klingt das anders: mehr Druck, mehr Einsparungen, und in der Konsequenz mehr Situationen, in denen Abläufe gestreckt oder Personal reduziert wird. Sicherheit wird in diesem Klima zum Messlattenbegriff, an dem sich die Glaubwürdigkeit des Managements entscheidet.

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Streitpunkt Nummer eins: das Seto-Verfahren

Das sogenannte „Single Engine Taxi Out“ ist eines der besonders sensiblen Themen. Bei diesem Verfahren rollt ein Flugzeug mit nur einem gestarteten Triebwerk zur Startbahn, um Treibstoff und CO₂ zu sparen. Aus Sicht vieler Piloten erhöht das die Komplexität am Boden: mehr manuelle Schritte, neue Routinen, potenzielle Fehlermöglichkeiten. Auch Boeing soll laut Pilotenkreisen Vorbehalte geäußert haben.

Lufthansa Cargo verweist darauf, dass das Verfahren nur in einem begrenzten Probebetrieb getestet wurde. Ob und wann es eingeführt wird, sei noch offen. Doch in der Beurteilung des Risikos prallen zwei Kulturen aufeinander: wirtschaftliche Optimierung auf der einen Seite – und operative Vorsicht auf der anderen.

Der lange Flug um Russland führt zur Frage nach der Crewstärke

Ein zweiter Streitpunkt betrifft die Besatzungsstärken auf Fernost-Strecken. Da der russische Luftraum gemieden wird, dauern viele Flüge deutlich länger. Nach Darstellung von Piloten hatte der Sicherheitsmanager eine vierköpfige Besatzung empfohlen, ein externes Gutachten von Baines Simmons soll diese Einschätzung gestützt haben.

Die Unternehmensleitung hält dem entgegen, dass sowohl drei als auch vier Crewmitglieder ausreichend sein könnten – abhängig von Flugzeiten, Zeitzonen, Einsatzfolgen und Erholungsfenstern. Aktuell setzt Lufthansa Cargo nach eigenen Angaben vierköpfige Crews in Japan und Südkorea ein. Doch der Konflikt bleibt bestehen: Für die Cockpitbesatzungen ist der Umgang mit Ermüdungsrisiken ein Kernpunkt der Sicherheit, für das Management ein Balanceakt zwischen Vorsicht und Wettbewerbsfähigkeit.

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Die Umstrukturierung psychologischer Betreuung sorgt für Misstrauen

Auch das interne System zur Betreuung nach kritischen Vorfällen – das CISM-Programm – entfacht Streit. Bisher lief es über die unabhängige Stiftung Mayday, die bei Piloten hohes Vertrauen genießt. Nun soll das Programm in den Lufthansa-Health-Hub integriert werden. Aus Sicht der Cockpitcrews droht damit ein Verlust an Unabhängigkeit und Vertraulichkeit.

Lufthansa Cargo widerspricht: Die Schweigepflichten blieben bestehen, die Struktur werde lediglich neu organisiert. Doch viele Piloten sehen ein Risiko, dass sensible Gespräche künftig näher an das Management rücken. Es ist ein klassischer Konfliktpunkt: Wo Vertrauen entscheidend ist, genügt schon der Verdacht einer Einflussnahme.

Ein Konflikt, dessen Ausgang die Kultur des Unternehmens prägt

Die Sicherheitsdebatte bei Lufthansa Cargo ist längst mehr als eine Auseinandersetzung über Checklisten, Verfahren oder Dienstpläne. Sie ist ein Testfall dafür, wie ein globaler Luftfahrtkonzern Wachstum und Sicherheit miteinander verzahnt – und wie er Kritik aus den eigenen Reihen behandelt.

Die Fronten sind verhärtet, doch das Problem ist nicht technischer, sondern kultureller Natur. Beide Seiten argumentieren für sich plausibel, aber unter völlig unterschiedlichen Vorzeichen. Der Ausgang dieser Auseinandersetzung wird entscheiden, wie viel Vertrauen künftig im Cockpit bleibt – und wie viel Einfluss das Management auf die operative Realität hat.

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