Ein Lidl-Kunde erzählt – und verliert den Überblick
„Ich bin dreimal durch den Laden gelaufen und hab vielleicht 40 Preisschilder mit roter Markierung gesehen“, erzählt Matthias K., ein 43-jähriger Lagerist aus Heilbronn, der nach der groß angekündigten Rabattaktion gezielt zum Einkaufen ging. „Von 500 günstiger hab ich nicht viel gemerkt.“
Was Matthias erlebt hat, ist kein Einzelfall. Was als PR-Coup begann, könnte nun ein Fall für die Justiz werden – und ein Weckruf für die gesamte Handelsbranche.
Die vollmundige Ankündigung – und ihre juristische Brisanz
Ende Mai verkündete Lidl die „größte gleichzeitige Preissenkung in der Geschichte“ des Unternehmens. Über 500 Produkte sollten „sofort und dauerhaft“ günstiger werden, einzelne Artikel sogar um bis zu 35 Prozent.
Doch schon wenige Tage später zweifelte die Verbraucherzentrale Hamburg (VZHH) an der Ehrlichkeit der Aktion – und erhob Klage beim Landgericht Heilbronn. Der Vorwurf: irreführende Werbung.
Der Slogan „500 Produkte dauerhaft günstiger“ sei nicht belegt worden. Eine vollständige Liste der betroffenen Artikel legte Lidl auch auf Nachfrage nicht vor. Verbraucherschützer Armin Valet spricht von einer Marketingaktion, die „den Eindruck erwecken soll, Verbraucher würden erheblich sparen – in Wahrheit geht es um Verkaufsförderung, nicht um Transparenz“.
Die Klageschrift – und was dahintersteckt
Konkret stützt sich die Klage der VZHH auf die Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) und das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG).

In wirtschaftlich angespannten Zeiten sei es besonders problematisch, wenn Händler mit angeblichen Einsparungen werben, die sich nicht nachvollziehen lassen. Die Aufschrift „dauerhaft“ suggeriere Stabilität – doch weder Produkte noch Preise seien verbindlich aufgelistet.
Faktencheck per Einkaufs-App – die Ergebnisse ernüchtern
Auch die auf Preisvergleich spezialisierte App Smhaggle ging den Versprechen nach. Sie analysierte über 640.000 Kassenbons – und identifizierte gerade einmal rund 270 rabattierte Artikel.
Die durchschnittliche Ersparnis? Wenige Cent pro Produkt, selten mehr als ein Euro pro Einkauf. Bei Aldi, das prompt mit einer eigenen Aktion konterte, war die Rabattausbeute laut Analyse immerhin etwas höher – und transparenter: Aldi listete die reduzierten Produkte öffentlich.
Experte zweifelt – und sieht das Vertrauen in Gefahr
Auch Stephan Rüschen, Professor für Handelsmanagement an der DHBW Heilbronn, prüfte die Aktion selbst – und wurde nicht überzeugt. „Ich war in einer Filiale in Düsseldorf und habe nur rund 300 reduzierte Artikel gefunden.“
Der Clou: Auf dem Instagram-Kanal des Discounters fand Rüschen später den Hinweis, die Zahl 500 umfasse deutschlandweite wie auch regionale Reduktionen – also nicht zwingend in jeder Filiale.
„Werbung wie diese ist kommunikativ unglücklich und potenziell irreführend. Der Claim ‚500 günstiger‘ ist, so wie er wahrgenommen wird, kaum haltbar“, kommentiert der Professor auf LinkedIn.
Ein neues Preismarketing-Zeitalter – mit alten Mitteln
Der Hintergrund der Aktion ist kein Geheimnis. Der deutsche Lebensmittelhandel befindet sich seit Monaten in einem harten Preiskampf. Aldi, traditionell Preisführer, wurde in dieser Rolle von Lidl herausgefordert.
Wer das Preisimage dominiert, setzt auch marktweite Preissignale – und gewinnt Sympathien bei preisbewussten Konsumenten.
Doch genau dieser Wettbewerb führt offenbar zu kreativen Interpretationen des Begriffs „Rabatt“. Statt echter Preissenkungen zählt oft schon die Kombination aus bundesweiten und regionalen Aktionen, um auf eine große Zahl zu kommen.
Weniger echte Angebote – aber mehr Werbung
Die Auswertung des Aktionsportals Marktguru zeigt: Die Zahl klassischer Sonderangebote ist 2025 deutlich zurückgegangen. Im ersten Halbjahr zählte das Portal 14 Prozent weniger Aktionen als noch im Vorjahr.
Besonders betroffen: Milch, Butter, Kaffee und Fleisch – allesamt Preistreiber des vergangenen Jahres. Bei Getränken dagegen bleibt die Taktzahl hoch: Bier, Wasser, Softdrinks – hier wird weiter aggressiv geworben.
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