Ein Traditionsunternehmen am Abgrund
Kiekert, Weltmarktführer für Kfz-Schließsysteme, hat Insolvenz angemeldet. Betroffen sind die Kerngesellschaften Kiekert Holding GmbH und Kiekert AG, wie das Amtsgericht Wuppertal bestätigte. Der Schritt ist ein weiteres Kapitel in der anhaltenden Krise der deutschen Zuliefererindustrie.
Das 1857 gegründete Unternehmen mit Sitz in Heiligenhaus beliefert mehr als 100 Automobilmarken weltweit. Mit einem Marktanteil von 21 Prozent steckt in jedem dritten Auto ein Schließsystem aus dem Hause Kiekert. Rund 4.500 Mitarbeiter arbeiten an elf Standorten – 700 davon in Deutschland. Der Umsatz lag zuletzt bei rund 900 Millionen Euro.
Geschäft läuft weiter – vorerst
Der operative Betrieb soll nach Unternehmensangaben an allen Standorten zunächst weiterlaufen. Die Mitarbeiter in Deutschland erhalten bis Ende November Insolvenzgeld von der Bundesagentur für Arbeit. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellte das Gericht Joachim Exner, der bereits mehrere Autozulieferer durch Krisen begleitet hat. Er wird nun die Investorensuche starten und versuchen, das Geschäft zu stabilisieren.

Eigentümer Lingyun als Belastung
Kiekert war einst börsennotiert, wechselte später in Private-Equity-Hand und wurde 2012 vom chinesischen Zulieferer Lingyun übernommen. Heute sieht Kiekert-Chef Jérôme Debreu in diesem Eigentümer den Hauptverantwortlichen für die Insolvenz. Lingyun habe finanzielle Verpflichtungen in dreistelliger Millionenhöhe nicht erfüllt und keine weiteren Mittel bereitgestellt.
Hinzu kamen geopolitische Folgen: US-Sanktionen gegen chinesische Unternehmen erschwerten den Zugang zu westlichen Finanzierungen und führten zu Auftragsverlusten. Amerikanische Kunden stornierten Großaufträge, Rating-Agenturen stuften Kiekert herab, Banken verweigerten Kredite.

Produktionsverlagerungen und hohe Kosten
Auch Standortbedingungen spielten eine Rolle. Auf Kundenwunsch verlagerte Kiekert jüngst die Fertigung eines Nachfolgeprodukts aus Heiligenhaus nach Mexiko – die Kosten in Deutschland seien zu hoch. Energiekosten, Löhne und regulatorische Belastungen setzen die hiesige Produktion zunehmend unter Druck.
Symptome einer Branchenkrise
Kiekert ist kein Einzelfall. In den vergangenen Monaten haben bereits Zulieferer wie Eissmann, Voit Automotive und WKW Insolvenz angemeldet. Der Druck kommt aus mehreren Richtungen: Absatzschwäche, hohe Kosten, Umstellung auf Elektromobilität, neue US-Zölle und ein gnadenloser Preiskampf.
Der Stuttgarter Insolvenzverwalter Martin Mucha fasst es so zusammen: „Viele mittelständische Zulieferer kalkulieren ohnehin schon auf Kante. Wenn Hersteller Abrufe zurückfahren, kippt sofort die Bilanz.“
Chancen auf einen Neustart
Trotz der Schieflage gilt ein Fortbestand des Unternehmens als möglich. Der Auftragsbestand von rund zehn Milliarden Euro unterstreicht, wie unverzichtbar Kiekert für die Branche ist. Exner wird versuchen, neue Investoren zu gewinnen – und Debreu deutet an, dass ein Eigentümerwechsel über die Insolvenz ausdrücklich gewünscht ist.
Der Fall Kiekert zeigt, wie schnell selbst Weltmarktführer ins Straucheln geraten, wenn geopolitische Risiken, unternehmerische Abhängigkeiten und branchenspezifische Krisen zusammentreffen. Für die Autoindustrie ist er ein Warnsignal – und für die Politik ein Weckruf, wie verwundbar das „Autoland Deutschland“ geworden ist.
