Geld trifft Gaspedal – KTM überlebt
Es ist ein Kraftakt auf den letzten Metern: Nur wenige Tage vor Fristende sichern Gläubiger dem insolventen Motorradhersteller KTM eine Finanzspritze von 600 Millionen Euro zu.

Das rettet nicht nur das Traditionsunternehmen mit Sitz im österreichischen Mattighofen – sondern auch das Lebenswerk von Stefan Pierer, der über Jahrzehnte das Gesicht und der Antreiber des Konzerns war.
Der Geldsegen war zwingend nötig. 2,2 Milliarden Euro Schulden, über 1200 Gläubiger, stillgelegte Produktion, ein Sanierungsplan mit 30-Prozent-Quote: Ohne frisches Kapital wäre KTM endgültig gestürzt. Nun scheint der Stillstand überwunden – zumindest finanziell.
Indien übernimmt: Bajaj fädelt den Deal ein
Die zentrale Rolle bei der Rettung spielt Bajaj Auto, einer der größten Zweiradhersteller Asiens. Der indische Konzern war schon bislang über Umwege beteiligt – und greift nun offenbar nach mehr.
Ein 632-Millionen-Dollar-Kredit, organisiert bei J.P. Morgan und Citigroup, markiert den vorläufigen Höhepunkt des indischen Engagements.
Was Bajaj für sein Risiko verlangt, ist offiziell nicht bekannt – aber die Richtung ist klar: Machtverschiebung zulasten von Pierer. Beobachter rechnen mit einem schrittweisen Einflussverlust des langjährigen Lenkers, der KTM seit den 1990ern aus mehreren Krisen manövrierte, zuletzt jedoch die Kontrolle verlor.
Produktionspause, Jobabbau, Vertrauensverlust
Der Zustand von KTM ist mehr als angespannt. Die Produktion ruht, der einstige Rennsportheld verliert Marktanteile, die Motorradzahlen sind dramatisch eingebrochen: Nur noch 293.000 verkaufte Einheiten im Jahr 2024 – ein Minus von über 20 %.
Der Umsatz der Pierer Mobility AG sackte um fast ein Drittel auf 1,9 Milliarden Euro. Und mit dem Fahrradgeschäft wurde gerade ein Verlustbringer abgestoßen, der nicht mehr zu retten war.
1850 Stellen sind bereits gefallen, 220 weitere folgen durch den Verkauf der Mehrheit an der italienischen Marke MV Agusta. Wie viele Jobs nach der Rettung noch existieren werden, ist offen.
Ein Konzern zwischen Hoffnung und Hypothek
KTM leidet nicht nur unter sinkender Nachfrage, sondern auch unter strukturellen Problemen: Hohe Lagerbestände, teure Energie, überdurchschnittliche Löhne – Österreich ist kein Billigstandort.
Die Coronajahre hatten für einen kurzfristigen Boom gesorgt. Doch statt sich darauf vorzubereiten, dass dieser Effekt abebbt, wurden Kapazitäten ausgebaut, Produktionslinien verlängert, Schulden aufgenommen.
Jetzt zahlt KTM den Preis – und überlebt nur durch ausländisches Kapital. Der Insolvenzverwalter spricht von einem „Vertrauenssignal“. Es ist auch ein Misstrauenssignal gegenüber der bisherigen Führung.
Stefan Pierer: Machtverlust eines Patriarchen
Dass Stefan Pierer bald nicht mehr der starke Mann bei KTM sein wird, scheint unausweichlich. Der neue CEO Gottfried Neumeister, erst seit Januar im Amt, agiert bereits eigenständiger als seine Vorgänger. Die Frage ist nicht mehr, ob Pierer Einfluss abgeben muss – sondern nur noch wie viel.
Die Eigentümerstruktur bleibt komplex: Zwar hält Pierers Industrie AG über die Pierer-Bajaj AG 75 % an der Pierer Mobility AG, doch mit jeder weiteren Finanzierungsrunde und jeder neuen Sicherheitslinie wächst der Einfluss der Inder – und schrumpft jener des Gründers.
Wie es jetzt weitergeht
Vorerst ist klar: KTM produziert wieder – wann genau, bleibt offen. Auch ob die 600 Millionen Euro reichen, um den Konzern nachhaltig zu stabilisieren, ist fraglich. Der Sanierungsplan sieht keine tiefgreifende Transformation vor, sondern vor allem: Zeitgewinn. Doch wie lange dieser anhält, entscheidet sich auf dem Weltmarkt – und in Neu-Delhi.
Die Strategie wird nun in Indien geschrieben – mit europäischer Kulisse. Für Mattighofen, für die Beschäftigten und für die Zulieferer beginnt eine neue Ära. Ob sie in Richtung Wachstum oder schleichenden Rückzug führt, ist offen.
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