Der Streik trifft weltweit – doch entstanden ist er in der Kabine. Seit Samstagmorgen steht der Flugbetrieb der größten kanadischen Airline still. Über 10.500 Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter von Air Canada haben nach monatelangen, ergebnislosen Verhandlungen die Arbeit niedergelegt – und damit die Notlandung einer Verhandlungsrunde erzwungen, die längst ins Trudeln geraten war.
Hunderttausende Passagiere weltweit bleiben am Boden. Doch der Streik ist mehr als ein einzelner Arbeitskampf – er ist ein Lehrstück über Löhne, Machtverhältnisse und einen unterschätzten Beruf.
„Kein Service. Kein Flug.“ – Was der Streik wirklich lahmlegt
Der Moment war kalkuliert: Punkt 01:30 Uhr am Samstag begann die Aussperrung – Air Canada hatte vorab klargemacht, dass ohne Einigung keine Flugbegleiter mehr ins Flugzeug dürfen. Die Antwort der Gewerkschaft folgte prompt: Streik. Nicht nur ein symbolischer, sondern ein flächendeckender. Inklusive der Billigflugmarke Rouge. Vom Langstreckenflug bis zur Inlandsverbindung – es geht nichts mehr.
Bereits am Freitag hatte das Unternehmen begonnen, über 600 Flüge zu streichen, um sich auf das Schlimmste vorzubereiten. Trotzdem war das Chaos absehbar: Rund 130.000 Fluggäste pro Tag sind betroffen. Frankfurt, München, Toronto, Montreal, Vancouver – auch Europa bleibt nicht verschont. Wer am Wochenende mit Air Canada fliegen wollte, braucht nun einen Plan B.
Was Air Canada bot – und was die Gewerkschaft forderte
Auf den ersten Blick klingt das Angebot der Airline moderat: 38 % mehr Gehalt über vier Jahre, dazu eine Bezahlung auch für Standzeiten am Boden, die bisher nicht entlohnt wurden.
Doch die Gewerkschaft widerspricht – und wirft Air Canada eine „kreative Rechnung“ vor. Realistisch seien es gerade einmal 17,2 % Erhöhung – und das für einen ohnehin unterbezahlten Beruf.
Besonders perfide wirkt dabei ein Detail: Viele Berufsanfänger kommen laut Gewerkschaft trotz Aufstockung nicht über den Mindestlohn hinaus. Und das, obwohl sie für einen der stressigsten Jobs der Branche täglich Passagiere versorgen, Notfälle koordinieren und Sicherheitsprotokolle umsetzen. Der Jobtitel mag freundlich klingen – die Realität sei oft „grenzwertig“, so eine Kabinenmitarbeiterin gegenüber kanadischen Medien.
Trudeau schaut (noch) weg – aber nicht alle wollen das so lassen
Was für die Airline ein ökonomisches Desaster ist – Schätzungen zufolge bis zu 75 Millionen kanadische Dollar Verlust pro Streiktag –, ist für die Regierung ein politischer Stresstest. Dass sich Premierminister Justin Trudeau bisher nicht eingeschaltet hat, sorgt in Gewerkschaftskreisen für Unmut. Noch 2021 hatte seine Regierung Arbeitsniederlegungen bei der Bahn per Gesetz gestoppt.
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Diesmal bleibt Ottawa still. Eine bewusste Zurückhaltung? Oder ein politisches Kalkül in unsicheren Zeiten? Fest steht: Die Regierung riskiert, dass der Konflikt eskaliert – und sich zu einem Grundsatzstreit über Arbeitsbedingungen in der Luftfahrtbranche auswächst. Die politische Sprengkraft des Themas ist jedenfalls vorhanden.
Keine Einigung in Sicht – und die Branche schaut genau hin
Während Passagiere weltweit nach Alternativen suchen und Umbuchungshotlines glühen, fragt sich die Luftfahrtbranche: Werden andere Belegschaften folgen? Denn Air Canada ist nicht allein.
Auch bei US-Airlines, in Europa und Asien wird über Arbeitszeit, Bezahlung und Respekt diskutiert. Die Streikwelle im Sommer 2025 – von der Lokführergewerkschaft bis zu Piloten und Bodenpersonal – könnte in der Kabine von Air Canada ihren lautesten Nachhall finden.
Und noch ist keine Lösung in Sicht. Ob und wann neue Verhandlungen starten, ist offen. Air Canada versucht Schadensbegrenzung – doch die Kontrolle hat längst die Gewerkschaft übernommen. Der Konflikt ist nicht nur ein finanzieller Kraftakt, sondern auch ein Symbol: Wer heute fliegen will, braucht nicht nur ein Ticket – sondern auch funktionierende Beziehungen zwischen Management und Belegschaft.
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