15. Juli, 2025

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Exportnation ohne Anschluss – Wie Deutschland seinen Vorsprung verliert

Seit 2017 verliert Deutschland Jahr für Jahr Anteile am Weltmarkt – obwohl die Absatzmärkte wachsen. Die Bundesbank hat den Absturz jetzt seziert. Die Ursachen sind vor allem hausgemacht.

Exportnation ohne Anschluss – Wie Deutschland seinen Vorsprung verliert
Deutschlands Anteil am weltweiten Exportmarkt sinkt seit Jahren kontinuierlich – 2024 liegt er so tief wie zuletzt vor der Finanzkrise.

Stillstand statt Vorsprung

Deutschland war lange der Klassenbeste in Sachen Export – zuverlässig, präzise, gefragt. Wenn andere Volkswirtschaften strauchelten, hielt sich die Bundesrepublik stabil auf Kurs. Doch diese Zeiten sind vorbei. Seit 2017 schrumpft der deutsche Anteil am Welthandel. Der Rückgang hat sich seit 2021 sogar beschleunigt. Und das, obwohl die internationalen Absatzmärkte florieren.

Die Bundesbank hat nun auf über 270 Millionen Handelsdaten zurückgegriffen, um herauszufinden, woran es wirklich liegt. Die Antwort: Die meisten Probleme sitzen nicht in China, Großbritannien oder Russland – sie sitzen in Deutschland selbst.

Was steckt hinter dem mehrjährigen Rückgang der deutschen Exportmarktanteile?
Die deutschen Exportmarktanteile sind seit 2017 rückläufig, insbesondere seit 2021. Dies ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft verschlechterte, heißt es im aktuellen Monatsbericht. Darin untersuchen die Autoren, was hinter dem Rückgang der deutschen Exportmarktanteile steckt, und leiten mögliche Strukturreformen ab.

Die Rechnung ohne den Export gemacht

Zwischen 2021 und 2024 wuchsen die Auslandsmärkte um 15 Prozent – Deutschlands Exporte dagegen nur um 5. Was auf den ersten Blick nach Statistik klingt, hat konkrete Folgen: Laut Bundesbank wäre das deutsche Bruttoinlandsprodukt in diesem Zeitraum um 2,4 Prozentpunkte höher ausgefallen, hätte man mit dem Markt mitgehalten. In Geld: Rund 100 Milliarden Euro Wohlstand, die auf der Strecke blieben.

Diese Lücke ist nicht nur eine Zahl. Sie ist ein Warnsignal. Denn der Export ist und bleibt die zentrale Einkommensquelle des Landes. Wenn er schwächelt, droht mehr als nur ein schlechteres BIP. Es geht um Arbeitsplätze, Investitionen, Wettbewerbsfähigkeit.

Viele Ausreden, ein Kernproblem

Natürlich gibt es äußere Faktoren. Der Brexit hat einen wichtigen Markt gekappt. Russlands Überfall auf die Ukraine hat Exporte abrupt gestoppt. Die Corona-Pandemie hat Lieferketten zerrissen. Besonders die Autoindustrie – immer noch eine tragende Säule – bekam das zu spüren.

Aber das erklärt eben nur einen Teil des Problems. Den Großteil – etwa drei Viertel laut Bundesbank – macht etwas anderes aus: Schwächen auf deutscher Seite. Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, gestiegene Kosten, ein träger Staat.

Wenn Produktivität nicht mit Löhnen mithält

Ein zentrales Problem: Arbeitskräfte sind knapp – was per se kein Nachteil wäre, wenn gleichzeitig die Produktivität steigen würde. Doch genau das passiert nicht.

Die Folge: stark steigende Löhne bei gleichbleibender oder sogar schwächelnder Leistung. Das Ergebnis sind überdurchschnittlich hohe Lohnstückkosten, vor allem im Vergleich zu anderen Euro-Ländern.

Und es bleibt nicht dabei. Energiepreise treiben die Produktionskosten zusätzlich in die Höhe. Die Bürokratie bremst Investitionen. Und laut einer Umfrage der Europäischen Investitionsbank empfindet mittlerweile mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen genau das als größtes Hemmnis.

Fast jedes zweite deutsche Industrieunternehmen klagt laut ifo-Institut über fehlende Arbeitskräfte – Tendenz steigend, trotz sinkender Auftragslage.

Industrie leidet – aber nicht wegen der Weltlage

Besonders hart trifft es die Industrie. Der Maschinenbau, die Elektrotechnik, die Automobilhersteller – alles Branchen, in denen Deutschland traditionell stark war. Doch genau hier haben die Probleme besonders spürbare Folgen.

Lieferengpässe nach Corona trafen viele deutsche Unternehmen stärker als die Konkurrenz. Und obwohl sich einige Sektoren 2023 kurzzeitig erholten, ging es 2024 direkt wieder bergab. Die Bundesbank spricht von „strukturellen Problemen“ – also Dingen, die nicht einfach verschwinden, wenn sich die Weltlage verbessert.

Was die Politik jetzt tun müsste

Die Bundesbank macht in ihrem Bericht keine große Show. Doch ihre Empfehlungen sind klar – und deutlich:
• Arbeitsanreize schaffen.
• Fachkräftezuwanderung erleichtern.
• Bürokratie abbauen.
• Investitionen steuerlich begünstigen.
• Start-ups und Forschung besser fördern.

Und, ganz zentral: Die Energiewende nicht nur proklamieren, sondern effizient umsetzen. Energiepreise dürfen kein Standortnachteil bleiben. Auch neue Freihandelsabkommen könnten helfen, Lieferketten zu diversifizieren.

Abstieg mit Ansage

Es ist nicht das erste Mal, dass Experten auf diese Probleme hinweisen. Aber selten war die Analyse so datenbasiert, so nüchtern – und so eindeutig. Deutschland hat in den vergangenen Jahren strukturelle Schwächen nicht behoben, sondern verdrängt. Das rächt sich jetzt.

Was bleibt, ist die Hoffnung, dass die Diagnose nicht folgenlos bleibt. Denn die Exportwirtschaft ist kein Relikt vergangener Zeiten – sie bleibt das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft. Aber ein Rückgrat, das man nicht endlos belasten kann, ohne es zu stabilisieren.

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