Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über die adäquate Handhabung von Migrationsfragen stellt sich die Frage, ob eine sogenannte "nationale Notlage" erklärt werden könnte, die besondere Maßnahmen an den deutschen Grenzen rechtfertigen würde. Wie die „Welt“ berichtet, hat Bundeskanzler Friedrich Merz eine mögliche Berufung auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in Betracht gezogen, um eine solche Situation zu deklarieren.
Trotz dieser Überlegungen hat ein Sprecher der Bundesregierung diese Möglichkeit prompt zurückgewiesen und klargestellt, dass der Bundeskanzler keine Befugnis habe, einen nationalen Notstand auszurufen. Im Kern der Problematik steht die Dublin-Verordnung der Europäischen Union, die vorschreibt, dass die Bundespolizei Asylbewerber nicht einfach an den Grenzen abweisen darf. Stattdessen erfordert dies ein komplexes und oft ineffizientes Umsiedlungsverfahren auf europäischer Ebene.
Allerdings bietet Artikel 72 AEUV eine potenzielle Ausnahme, indem er nationale Zurückweisungen erlaubt, sollte dies für die Wahrung der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit notwendig werden. Hierauf hatte Merz bereits im August verwiesen. Professor Daniel Thym von der Universität Konstanz bezeichnet die laufenden Diskussionen als "spannend", ermahnt jedoch, den Begriff "Notlage" mit Vorsicht zu verwenden. Seiner Meinung nach handelt es sich dabei eher um eine "Ausnahme" und keinesfalls um Szenarien, die auf einen staatlichen Kollaps hindeuten.
Thym hebt hervor, dass eine formelle Erklärung des Kanzlers nicht nötig sei, um Maßnahmen an den Grenzen durchzuführen. Er befürwortet zudem, dass die Pläne des Innenministeriums zur möglichen Zurückweisung von Asylbewerbern umgesetzt werden können und einer nachträglichen gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden sollten, wenn entsprechende Klagen erhoben werden.
Gegenwärtig ist ungewiss, wie Gerichtsurteile über die Rechtmäßigkeit solcher zur Diskussion stehenden Maßnahmen ausfallen könnten. Jedoch wird angenommen, dass die Einführung von Ausnahmeregelungen, etwa für schutzbedürftige Gruppen wie Schwangere und Kinder, die Akzeptanz bei gerichtlichen Überprüfungen erhöhen könnte. Währenddessen hat das Bundesinnenministerium die Botschafter der benachbarten Länder Deutschlands über die verstärkten Kontrollen an den Innengrenzen in Kenntnis gesetzt. Dies signalisiert den Wunsch nach einer konstruktiven Partnerschaft ohne den Eindruck einer Krisensituation zu erzeugen.