25. Juli, 2025

Unternehmen

Bitteres Ende für Oettinger

Warum die Braunschweiger Werksschließung mehr ist als ein Einzelfall – und was der Absturz des Bierkonsums über den deutschen Mittelstand verrät.

Bitteres Ende für Oettinger
Seit 1994 ist der Pro-Kopf-Bierkonsum in Deutschland um rund 35 % gefallen – die Schließung des Oettinger-Werks in Braunschweig ist kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines tiefgreifenden Strukturwandels.

Der Biermarkt schrumpft seit Jahrzehnten – doch nun geraten selbst große Namen wie Oettinger ins Wanken. Die Schließung des Braunschweiger Standorts ist nicht nur ein rationaler Schritt, sondern ein Alarmsignal für eine ganze Branche, die jahrzehntelang als krisenfest galt.

Die Flasche wird nicht mehr leer

Es ist ein stilles Sterben. Kein spektakulärer Knall, kein großer Skandal. Stattdessen: 150 Stellen weniger in Braunschweig, ein Werk weniger für Oettinger – und ein weiteres Kapitel in der schleichenden Krise eines einst stolzen Industriezweigs.

Während die Brauereileitung nüchtern von „Überkapazitäten“ spricht, steckt hinter der Entscheidung ein Problem, das tiefer reicht als jede Bilanz: Die Deutschen trinken schlichtweg kein Bier mehr.

Seit 1994 ist der Konsum um 35 Prozent eingebrochen. Das entspricht rund 30 Litern pro Kopf – Jahr für Jahr weniger. Was früher Stammtischkultur war, ist heute ein Relikt, das auf den Etiketten verstaubt. Die Brauerei Oettinger trifft es nun zuerst – andere dürften folgen.

Generation Z trinkt deutlich weniger Alkohol – für viele junge Menschen ist Bier kein Genussmittel mehr, sondern ein Produkt aus einer anderen Zeit.

Eine Branche im Rückwärtsgang

Was anfangs wie eine rein demografische Entwicklung wirkte, ist längst ein Strukturwandel: Vor allem die Generation Z hat mit Bier kaum noch etwas am Hut. Gesundheitsbewusste Lebensstile, neue Geschmacksvorlieben, weniger Alkohol im Alltag – der „Gerstensaft“ verliert seinen Platz im Kühlschrank, nicht weil er teurer geworden wäre, sondern weil er nicht mehr zur Zeit passt.

Brauereien spüren diesen Wandel direkt im Absatz. Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2024 ist die Menge verkauften Biers laut Branchenzahlen um fast sieben Prozent eingebrochen.

In Nordrhein-Westfalen – traditionell eine Bierhochburg – ging der Absatz um über 400.000 Hektoliter zurück. Selbst große Häuser wie Veltins klagen inzwischen öffentlich. Und das in einem Markt, der ohnehin mit dünnen Margen kämpft.

Wenn das vierte Bier nicht mehr getrunken wird

Volker Kuhl, Geschäftsführer der Veltins-Brauerei, bringt es trocken auf den Punkt: „Es ist oft das dritte oder vierte Bier, das der Kunde heute weglässt.“ Der Satz klingt banal, meint aber in Wahrheit das Ende eines Geschäftsmodells.

Denn viele mittelständische Brauereien kalkulieren mit Volumen. Wenn die Mengen nicht mehr stimmen, helfen auch keine Preiserhöhungen – zumal diese kaum durchsetzbar sind.

Denn Bier ist für den Handel ein „Frequenzprodukt“. Ein Lockmittel. Die Händler drücken die Einkaufspreise, um die Regale mit billigen Marken zu füllen. Für die Hersteller bedeutet das: kein Spielraum für Aufschläge, kaum Chance auf bessere Margen. Ein Preiskampf, der nur große Marken überleben können.

In den ersten fünf Monaten 2024 ist der Bierabsatz um fast 7 % eingebrochen – allein in NRW verlor der Markt über 400.000 Hektoliter.

Steigende Kosten, sinkende Geduld

Gleichzeitig schießen die Produktionskosten in die Höhe. Rohstoffe wie Hopfen und Malz, Glasflaschen, Energie, Kohlensäure – alles ist teurer geworden. Und doch kann kaum eine Brauerei die Preise anheben, ohne Kunden zu verlieren. Der Margenverfall ist strukturell – und viele Brauereien stehen wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand.

„Der Markt wird sich über Zeit bereinigen“, sagt Roland-Berger-Experte Fabian Huhle. „Viele kleinere Betriebe hoffen darauf, dass Wettbewerber einfach verschwinden – und sie dadurch Marktanteile gewinnen.“ Ein trügerisches Kalkül. Denn solange der gesamte Kuchen schrumpft, bringt auch das größte Stück nur wenig.

Alkoholfrei ist kein Allheilmittel

Zwar haben alkoholfreie Biere in den letzten Jahren deutlich zugelegt – zwischen 2018 und 2021 um satte 86 Prozent. Doch sie machen nach wie vor nur rund zehn Prozent des Gesamtabsatzes aus. Viel zu wenig, um den Rückgang bei klassischen Bieren auszugleichen.

Auch Veltins warnt: Alkoholfreies Bier sei „allenfalls ein Pflaster“. Es hilft, den Rückgang abzufedern, nicht aber, ihn aufzuhalten. Und während manche Brauereien mit Limonaden und Fassbrausen experimentieren, bleibt der Markenkern oft diffus – und die Kundschaft misstrauisch.

Keine Lust, kein Durst, keine Hoffnung?

Der Rückgang des Bierkonsums ist mehr als ein kurzfristiger Trend. Er spiegelt einen kulturellen Wandel wider, den viele in der Branche zu spät erkannt haben. Bier steht nicht mehr für Geselligkeit, sondern für Kalorien. Es ist kein Statussymbol, sondern ein Sparprodukt.

Und genau das wird zum Problem: In einem Markt, der sich immer weiter auf wenige große Marken konzentriert, verlieren mittelständische Anbieter an Sichtbarkeit – und damit an Relevanz. Wenn Oettinger trotz günstiger Preise nicht mehr mithalten kann, stellt sich die Frage: Wer soll es dann?

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