Stabil – aber angeschlagen
Das Urteil ist milde – vielleicht zu milde. Die US-Ratingagentur Fitch hat die Kreditwürdigkeit des Pharma- und Agrarchemiekonzerns Bayer erneut mit „BBB“ bewertet.
Das klingt solide, bedeutet in der Praxis aber: Die Bonität ist nur noch zwei Stufen vom Ramschniveau entfernt. Der Ausblick bleibt „stabil“, was in Analystenkreisen so viel heißt wie: nicht gut, aber auch nicht unmittelbar schlechter.
Für Bayer ist das immerhin eine Atempause. Doch wer das Rating genau liest, erkennt: Die Warnlampen leuchten weiterhin. Und der Konzern hat kaum Spielraum für weitere Rückschläge.
Gute Gene, schlechte Bilanz
Fitch lobt, was auf dem Papier gut aussieht: Bayer ist global breit aufgestellt, verfügt über starke Marktpositionen und operiert in drei robusten Geschäftsfeldern – Pharma, Consumer Health und Crop Science. Diese Diversifikation gilt als Risikopuffer, gerade in Zeiten schwankender Märkte.
Aber die Schwächen wiegen schwerer: Bayer schleppt weiterhin einen gewaltigen Schuldenberg von über 38 Milliarden Euro vor sich her – ein Erbe des umstrittenen Monsanto-Deals.
Hinzu kommen milliardenschwere Rechtsrisiken aus laufenden Glyphosat-Klagen in den USA sowie hohe Restrukturierungskosten. Der Cashflow ist zuletzt weiter gefallen – trotz gekürzter Dividendenzahlungen.
Die stille Krise im Hintergrund
Was Fitch höflich als „temporär niedrigen Cashflow“ beschreibt, ist bei genauerer Betrachtung ein handfestes strukturelles Problem. Die operative Marge ist gesunken, gleichzeitig steigen die Kosten.

Bayer muss investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben – kann sich diese Investitionen aber kaum leisten, ohne den Schuldenhebel weiter zu strapazieren.
Auch der Markt bleibt nervös. Nachbörslich notierte die Aktie zuletzt bei 27,92 Euro – ein Mini-Rückgang um 0,14 Prozent, der die allgemeine Unsicherheit widerspiegelt. In den vergangenen fünf Jahren hat das Papier über 50 % an Wert verloren.
Der Konzern im Spagat
Das Management steht vor einem Dilemma: Einerseits muss es die Bilanz stabilisieren und Vertrauen bei Investoren zurückgewinnen. Andererseits darf es das operative Geschäft nicht abwürgen – zumal der Pharmabereich in naher Zukunft wichtige Umsatzträger verliert, etwa durch Patentabläufe bei Medikamenten wie Xarelto.
Zudem zeigen sich immer mehr Investoren ungeduldig. Hedgefonds und aktivistische Aktionäre wie Bluebell fordern eine Zerschlagung des Konzerns – Bayer solle sich auf sein Pharmageschäft konzentrieren und die Agrarsparte abstoßen. Bisher stemmt sich der Vorstand dagegen. Doch der Druck wächst.
Was das Rating wirklich bedeutet
Ein „BBB“-Rating ist das letzte Investment-Grade-Rating, bei dem große institutionelle Investoren wie Versicherungen oder Pensionsfonds noch unbesorgt an Bord bleiben dürfen.
Ein weiterer Downgrade – etwa durch negative Überraschungen bei den US-Klagen oder eine erneute Cashflow-Schwäche – würde viele Großanleger zum Ausstieg zwingen.
Fitch rechnet damit, dass Bayer seine Probleme „innerhalb des bestehenden Ratings“ bewältigen kann. Doch das ist keine Garantie, sondern eher ein Vertrauensvorschuss – einer, den Bayer nun erst einmal verdienen muss.
Keine Zeit mehr für Fehler
Der Konzern hat ein ernsthaftes Reputationsproblem – nicht nur wegen der Klagen, sondern auch wegen einer zu lange beschönigten Finanzlage. Analysten sehen Bayer inzwischen als „Sanierungsfall mit Substanz“. Und die Zeit, um diese Substanz wieder sichtbar zu machen, wird knapp.
Denn das Rating steht – aber das Vertrauen wackelt.
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