Ein Konzern flieht – und keiner hält ihn auf
Als Donald Trump Ende Juni die Pharmaindustrie zur Rückverlagerung der Medikamentenproduktion aufrief, klang es noch wie Wahlkampf-Rhetorik. Doch was jetzt folgt, ist knallharte Realität: Der britisch-schwedische Pharmariese AstraZeneca investiert 50 Milliarden US-Dollar in neue Standorte in den Vereinigten Staaten – mit Rückenwind von Virginias Gouverneur Glenn Youngkin und in offenkundiger Symbiose mit Trumps protektionistischer Vision.
Doch wer glaubt, der Konzern folge blind der republikanischen Agenda, unterschätzt die Dimension dieses Schritts. Denn schon zuvor war das Vertrauen in den Heimatmarkt Großbritannien schwer erschüttert – mit massiven Folgen für Europas Rolle im globalen Pharmarennen.
Ein Kontinent auf Entzug
In Großbritannien wurde AstraZeneca jahrelang mit staatlichen Kürzungen konfrontiert. Zuletzt zog der Konzern 2024 seine Investitionspläne für eine neue Impfstoffproduktion in Nordengland zurück – wegen mangelnder finanzieller Unterstützung.
Selbst die Londoner Börsennotierung steht laut The Times inzwischen zur Disposition. Die USA locken nicht nur mit Geld, sondern mit Einfluss: 2024 machten sie bereits 40 Prozent des AstraZeneca-Umsatzes aus. Bis 2030 soll es die Hälfte sein.
Der US-Markt ist mit 635 Milliarden Dollar der größte der Welt – und inzwischen ein Magnet für fast alle Pharmagiganten: Roche, Eli Lilly, Johnson & Johnson, Novartis und Sanofi haben bereits ähnliche Großoffensiven gestartet. Europa hingegen wirkt zunehmend wie ein Nebenschauplatz mit regulatorischen Fußfesseln.
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Trump klopft – und Big Pharma öffnet
Trump spielt seine Macht gezielt aus. Der Druck ist real: Das US-Handelsministerium prüft, ob neue Zölle auf importierte Wirkstoffe und Medikamente notwendig sind. Pharmafirmen haben nun 18 Monate Zeit, um ihre Lieferketten umzubauen.
AstraZeneca reagiert vorbildlich – aus amerikanischer Sicht. Der Konzern kündigt nicht nur den Ausbau von Produktions- und Forschungskapazitäten an, sondern verspricht auch zehntausende neue Jobs. Ein Geschenk für Trumps "Make America Make Again"-Agenda.
Die Verlagerung ist aber nicht allein geopolitisch motiviert. Pascal Soriot, der CEO, gab offen zu: Der Ort und das Timing der Ankündigung seien bewusst politisch gewählt worden. Doch selbst ohne Trump habe man sich auf eine massive Expansion in den USA vorbereitet. Die 50 Milliarden Dollar kommen zu bereits 3,5 Milliarden hinzu, die Ende 2024 angekündigt worden waren.
Ein Fall von politischem Standortversagen
Was bleibt Europa, wenn selbst Champions wie AstraZeneca den Kontinent Schritt für Schritt verlassen? In Wahrheit ist die aktuelle Investitionswelle Ausdruck eines viel tiefer liegenden Strukturproblems.
Europa verliert seine industrielle Anziehungskraft, weil politische Instabilität, hohe Energiekosten und steuerliche Unsicherheit Investoren abschrecken.
Dass selbst ein Konzern mit britischen Wurzeln das Vertrauen verliert und sich dem politischen Spielraum eines autoritären Populisten unterordnet, sollte mehr sein als eine Randnotiz in den Wirtschaftsspalten. Es ist ein lauter Warnruf.
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