Die Straßen von Barcelona werden am Sonntag erneut zum Schauplatz der Wut. Aktivisten demonstrieren gegen explodierende Mieten, Verdrängung und das Gefühl, die eigene Stadt an Touristen verloren zu haben.
Im Zentrum der Kritik: Anbieter wie Airbnb, die mit Kurzzeitvermietungen den ohnehin angespannten Wohnungsmarkt weiter unter Druck setzen sollen. Airbnb-Chef Brian Chesky weist die Vorwürfe entschieden zurück.
Bequemer Sündenbock
„Wir sind der bequeme Sündenbock für jahrzehntelange Versäumnisse der Städte“, sagte Chesky in einem Interview mit der Welt. Der CEO verweist auf Daten: In Barcelona seien die Immobilienpreise in den vergangenen zehn Jahren zwar um 60 Prozent gestiegen, doch die Zahl der Airbnb-Angebote sei zuletzt sogar gesunken.
„Der Großteil der Touristen kommt ohnehin über Hotels und Kreuzfahrtschiffe, nicht über Airbnb.“
Tatsächlich bestreitet niemand, dass Barcelona ein gravierendes Problem mit dem Massentourismus hat. Im Sommer 2024 zogen wütende Bürger mit Wasserpistolen durch die Altstadt, beschimpften Touristen und forderten auf Transparenten: „Barcelona ist nicht zu verkaufen“.
Die Stadtverwaltung reagierte mit einem drastischen Schritt: Ab Juni 2024 sollten alle Kurzzeitvermietungen verboten werden.
Hoteliers kontra Plattformen
Chesky bleibt mit seiner Argumentation nicht allein. Auch Airbnb-Politikchef Theo Yedinsky sprach diese Woche gegenüber der Financial Times von einem „ungleichen Wettbewerb“.
Laut einem aktuellen Bericht des Unternehmens stellen Hotels in der EU fast 80 Prozent der Übernachtungen – die Branche sieht Airbnb daher als Nebenschauplatz des Problems.
Doch Europas größter Reiseanbieter Tui kontert scharf. "Die Proteste richten sich gegen die Mietpreisexplosion und die Verdrängung durch den Zweitwohnungsmarkt sowie Kurzzeitvermietungen", erklärte Tui-Manager Alexander Panczuk gegenüber dem Guardian.
Tui selbst sei in den betroffenen Städten kaum präsent. Die Kurzzeit-Plattformen hingegen drängten massiv in urbane Märkte und entzögen Wohnraum der lokalen Bevölkerung.
Tiefe Risse im System
Der Streit berührt die Grundfrage vieler europäischer Metropolen: Wem gehören die Städte? In vielen Küstenregionen Spaniens, Portugals oder Italiens sind mittlerweile große Teile der Altstädte von Ferienwohnungen dominiert.
Wohnraum für Einheimische wird knapp, die Mieten steigen unaufhaltsam. Barcelona gilt längst als Paradebeispiel dieser Entwicklung, aber ähnliche Konflikte kochen auch in Venedig, Palma de Mallorca, Lissabon und Florenz hoch.
Dazu kommt: Die Tourismuswirtschaft ist für viele Regionen unverzichtbare Einnahmequelle. Lokale Politiker geraten damit zwischen zwei unversöhnliche Fronten: Wirtschaftlicher Wohlstand einerseits, soziale Spannungen andererseits.
Politische Fronten verhärten sich
Die Demonstranten auf Spaniens Straßen formulieren ihre Kritik inzwischen grundsätzlicher.
„Wenn uns gesagt wird, wir müssten uns auf den Tourismus spezialisieren, bedeutet das: Ihr müsst ärmer werden, damit andere reicher werden“, sagte Daniel Pardo Rivacoba von der Neighbourhoods Assembly for Tourism Degrowth der Nachrichtenagentur Reuters.
Und auch außerhalb der Protestmärsche wächst der Druck. In Italien und Spanien mehren sich Stimmen, die europäische Digitalpolitik müsse Airbnb & Co. schärfer regulieren. Besonders die Zweckentfremdung von Wohnraum soll stärker eingedämmt werden.
Branchenprimus bleibt gelassen
Trotz des Gegenwinds zeigt sich Chesky weiter kompromissbereit. Man wolle „modernen, gezielten Regulierungen“ nicht im Weg stehen, die Wohnraum schützen, aber Gastgebern das gelegentliche Vermieten weiterhin erlauben, sagte er.
Der Grundkonflikt bleibt damit ungelöst: Der weltweit wachsende Markt für Kurzzeitvermietungen stößt in den europäischen Altstädten an seine gesellschaftlichen Belastungsgrenzen. Airbnb verdient prächtig, die Städte kämpfen mit den sozialen Folgekosten.
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