Einst Rückgrat der Verkehrswende, heute Kostenfalle
Das Herzstück der grünen Logistikstrategie wankt. DB Cargo, die Güterverkehrstochter der Deutschen Bahn, steht offenbar kurz davor, den sogenannten Einzelwagenverkehr in großem Stil zurückzufahren – jenes System, bei dem einzelne Güterwaggons bei Industrieunternehmen eingesammelt und auf Rangierbahnhöfen zu vollständigen Zügen formiert werden.
Rund 8000 Stellen hängen direkt an diesem Segment. Nach internen Szenarien könnten bis zu zwei Drittel der Zugbildungsanlagen stillgelegt, der Einzelwagenverkehr um bis zu 80 % heruntergefahren werden. Der Grund: zu teuer, zu ineffizient, zu komplex.
Industrie und Umwelt im Dilemma
Die Folgen wären enorm. Chemie, Stahl, Baustoffe – ganze Wertschöpfungsketten würden aus der Bahn geworfen. Wörtlich. Denn was nicht mehr auf Schienen passt, landet auf der Straße.
Fachleute warnen bereits vor einem „Rückfall in alte Muster“. Der CO₂-Ausstoß im Güterverkehr dürfte steigen – und das ausgerechnet in einer Phase, in der die Klimaziele ohnehin in Schieflage sind.
Der große Irrtum mit den Subventionen
Lange Zeit galt der Einzelwagenverkehr als strategisch – auch politisch. Deshalb unterstützte der Staat das defizitäre Geschäft zuletzt mit rund 300 Millionen Euro jährlich.
Doch selbst diese Summe reicht kaum aus, um die Verluste bei DB Cargo zu kompensieren. 2024 meldete die Tochtergesellschaft ein Minus von 357 Millionen Euro – trotz aller Sanierungspläne.

Hinzu kommt: Ab 2026 untersagt die EU-Kommission interne Quersubventionierungen. DB Cargo muss sich dann selbst tragen – oder kürzen.
Ein „denkfauler Kahlschlag“?
Die Gewerkschaft EVG schlägt Alarm. In einem internen Schreiben ist von einem „denkfaulen Kürzungsszenario“ die Rede, das wirtschaftlich zweifelhaft und gesellschaftlich unverantwortlich sei.
Auch innerhalb der Bahn wird der Schritt kontrovers diskutiert. Kritiker warnen vor einem Ausverkauf öffentlicher Infrastruktur, der langfristig teurer werden könnte als das derzeitige Defizit.
Besonders pikant: DB Cargo hat im Einzelwagenverkehr einen Marktanteil von 90 %. Private Anbieter könnten diese Lücke kaum auffangen – nicht kurzfristig und nicht flächendeckend.
Sanierung oder Stillstand?
Konzernchefin Sigrid Nikutta hat bereits reagiert. Sie organisiert das Geschäft neu, gliedert es in vier Industriesegmente und verlangt von jedem Bereich schwarze Zahlen. Gleichzeitig plant sie bis 2029 den Abbau von 5000 Stellen – wohlgemerkt zusätzlich zu den jetzt diskutierten Kürzungen.
Was in Berlin nüchtern als „Optimierung“ bezeichnet wird, trifft in der Fläche auf realen Unmut – und auf reale Folgen für Regionen, Unternehmen und die Umweltbilanz.
Wer zieht hier eigentlich die Reißleine?
Dass der Einzelwagenverkehr ineffizient ist, bestreitet kaum jemand. Doch die Frage bleibt, ob die Ineffizienz strukturell oder hausgemacht ist. Laut dem Branchenverband „Die Güterbahnen“ erzielen 37 % der Wettbewerber in diesem Segment schwarze Zahlen – trotz gleichem System, gleicher Kupplung, gleicher Logistik.
Ein Teil der DB-Probleme sei operativ, so der Vorwurf: veraltete Prozesse, überlastete Strukturen, kaum Digitalisierung. Die seit Jahren angekündigte Digitale Automatische Kupplung (DAK), die das mühsame manuelle Ankoppeln ersetzen sollte, lässt weiter auf sich warten.
Was auf dem Spiel steht
Ein Rückzug aus dem Einzelwagenverkehr wäre mehr als eine betriebswirtschaftliche Entscheidung. Es wäre ein Kurswechsel mit Symbolkraft – weg vom Anspruch, den Güterverkehr klimafreundlich und flächendeckend zu organisieren, hin zur Renditelogik eines Konzernsegments, das mit der öffentlichen Aufgabe ringt, ein Unternehmen zu bleiben.
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