19. Juni, 2025

Märkte

Zollhammer trifft Luftfahrt: MTU im gefährlichen Abhängigkeitsstrudel

Der Handelskrieg des früheren US-Präsidenten legt eine jahrzehntelang gewachsene Partnerschaft offen, die plötzlich zur Achillesferse wird. Was der Streit um Zölle für MTU, Pratt & Whitney – und letztlich für Passagiere bedeutet.

Zollhammer trifft Luftfahrt: MTU im gefährlichen Abhängigkeitsstrudel
Die jahrzehntelange Partnerschaft zwischen MTU und Pratt & Whitney wird durch Trumps Zollpolitik zur Achillesferse. Ohne das Joint Venture fehlen beiden Seiten Know-how und Fertigungskompetenz.

Ein milliardenschwerer Auftrag, monatelang vorbereitet, präzise verhandelt – und dann kam Trump. Während MTU-Manager Michael Schreyögg den Deal mit GE Aerospace für eine Erfolgsmeldung hielt, verpuffte die frohe Kunde unter dem Schock, den der frühere US-Präsident mit seiner neuen Zolloffensive gegen Europa ausgelöst hatte.

In Paris trifft sich die Luftfahrtbranche zur Air Show – doch Optimismus ist Mangelware. Selten war die Unsicherheit größer.

Ein kompliziertes Netz gerät ins Wanken

Die Luftfahrtindustrie tickt anders als viele Branchen. Triebwerke entstehen nicht in nationalen Alleingängen, sondern in internationalen Joint Ventures, deren Partner jahrzehntelange Entwicklungszeiten und enorme Investitionsrisiken gemeinsam schultern.

Bei MTU und Pratt & Whitney sind es mittlerweile über 50 Jahre Zusammenarbeit, die Millionen Flugreisende heute als selbstverständlich erleben. Doch das Jahrzehnte alte Erfolgsmodell droht jetzt zur Kostenfalle zu werden.

Die politische Großwetterlage schiebt das fragile Konstrukt an den Rand des Zusammenbruchs. Trumps Drohung, den Luftfahrtsektor von den bislang geltenden Zollausnahmen auszunehmen, trifft einen hochkomplexen Produktionsprozess, bei dem Bauteile im Fertigungsablauf teils mehrfach Kontinente wechseln.

Jeder Grenzübertritt mit potenziellen Zöllen würde Kostenlawinen lostreten, die kaum noch kalkulierbar sind.

MTU – einst BMW-Tochter, heute globaler Partner

Für MTU gleicht die Kooperation mit Pratt & Whitney einer langen Ehe ohne Scheidungsvertrag. Erste gemeinsame Projekte reichen bis ins Jahr 1928 zurück. Doch erst ab 1971 wurden die Münchner systematisch Teil der US-Produktionskette.

Heute hängt MTU in praktisch allen wichtigen Pratt-Triebwerksfamilien mit drin – und liefert teils hochkritische Komponenten, die Amerikaner alleine nicht produzieren könnten. Geistiges Eigentum und Technologie verteilen sich auf beiden Seiten des Atlantiks.

Die USA erzielten bisher Exportüberschüsse von 75 Milliarden Dollar in der Luftfahrt. Trumps protektionistische Strategie gefährdet nun ausgerechnet diese Exportschlager.

„Es ist tatsächlich wie eine Ehe – nur ohne Gütertrennung“, kommentiert Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt trocken. Ein abrupter Bruch wäre für beide Seiten ökonomisch kaum überlebbar.

Milliardenschäden bereits eingetreten

Dabei ist die Partnerschaft nicht frei von Risiken. Der jüngste Pulvermetall-Skandal bei Pratt & Whitney zwang MTU zu milliardenschweren Nachbesserungen.

Insgesamt rund sechs Milliarden Euro an Schäden sind hier aufgelaufen, wovon MTU selbst etwa ein Sechstel schultern muss. Trotz aller Resilienz im Wartungsgeschäft zeigt sich, wie verwundbar selbst etablierte Kooperationen im globalen Triebwerksbau sind.

Trumps Eskalation setzt neue Maßstäbe

Die eigentliche Sprengkraft liegt jedoch in der Handelspolitik. Jahrzehntelang schützte ein bilaterales Luftfahrtabkommen von 1979 die transatlantischen Partner vor Zöllen. Trump will dieses Grundprinzip nun kippen. Er stellt Zölle auf Triebwerksbauteile und Luftfahrttechnik in Aussicht, die den gesamten Sektor auf den Kopf stellen würden.

Pratt & Whitney rechnet bereits für dieses Jahr mit Einbußen von bis zu 850 Millionen Dollar. Konkurrent GE erwartet über eine halbe Milliarde Dollar Mehrbelastung. Für MTU könnte es schnell in den zweistelligen Millionenbereich gehen – pro Jahr.

Und das sind nur erste Schätzungen. Die Märkte reagierten prompt: Luftfahrtaktien weltweit sackten deutlich ab, auch MTU geriet unter Druck.

Flugreisende als stille Leidtragende

Was für die Hersteller ein strategisches Desaster wäre, trifft am Ende vor allem die Passagiere. Werden Zölle auf Fertigungs- und Ersatzteile erhoben, steigen zwangsläufig auch die Betriebskosten für Airlines.

Flugtickets dürften damit teurer werden, zusätzliche Abgaben wären kaum vermeidbar. Und nicht nur Fluggäste aus Europa wären betroffen: Auch US-Airlines wie Delta, United oder American fliegen mit Maschinen, die auf europäische Zulieferungen angewiesen sind.

Politisches Tauziehen mit ungewissem Ausgang

Die US-Luftfahrtindustrie selbst läuft bereits Sturm gegen Trumps Zollpläne. Vor der Air Show in Paris starteten zahlreiche US-Unternehmen eine Lobbyoffensive, um das Weiße Haus von seinen Plänen abzubringen. Schließlich exportierte die amerikanische Luftfahrtbranche bislang mit einem komfortablen Überschuss von rund 75 Milliarden Dollar pro Jahr.

Werden Partner wie MTU, Safran oder Rolls-Royce abgeschnitten, wäre der Exportschlager "Made in USA" kaum noch haltbar.

Servicegeschäft als rettender Anker

Immerhin: MTU profitiert aktuell noch von seiner Wartungssparte. Ersatzteilversorgung und Instandhaltung sind weniger exportabhängig, können zunehmend auch aus US-Standorten wie Fort Worth bedient werden.

Der milliardenschwere Wartungsvertrag mit GE sichert zumindest kurzfristig stabile Umsätze. Doch die Unsicherheit bleibt. Jede weitere Eskalation im Zollstreit könnte auch hier Folgen nach sich ziehen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Sanierung zum Spitzenpreis: Die teure Rettung von OQ Chemicals
Ein Schuldenberg, zögerliche Eigentümer, drängende Gläubiger – und Berater, die Stundensätze jenseits aller Maßstäbe abrufen. Die spektakuläre Restrukturierung von OQ Chemicals zeigt, wie teuer Krisenlösungen im Hintergrund tatsächlich werden.