26. Juli, 2025

Wirtschaft

Zinspause statt Kurswechsel – Warum die EZB vorerst stillhält

Wirtschaftliche Stagnation, ein starker Euro und deflationäre Zolleffekte sprechen für eine Lockerung – doch die Kerninflation bleibt zu hoch. Die EZB zögert mit weiteren Zinssenkungen.

Zinspause statt Kurswechsel – Warum die EZB vorerst stillhält
Ein starker Euro drückt zwar die Importpreise – schwächt aber zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie.

Der Preis der Unsicherheit

Eigentlich wären die Voraussetzungen ideal: Die Gesamtinflation im Euroraum liegt bei exakt zwei Prozent – das offizielle Ziel der EZB ist erreicht. Doch wer auf ein klares geldpolitisches Signal gehofft hatte, wird erneut enttäuscht.

Auf ihrer Zinssitzung am Donnerstag lässt die Europäische Zentralbank den Leitzins unangetastet – zum dritten Mal in Folge. Offiziell heißt es: Beobachten, abwarten, auf Sicht fahren.

Das Problem: Die Richtung ist unklar – und der Spielraum begrenzt.

Inflation im Ziel, aber nicht im Griff

Zwar ist die headline inflation im Euroraum zurückgegangen, doch das Bild ist trügerisch. Die Kerninflation – also jene ohne Energie und Nahrungsmittel – bleibt mit 2,7 Prozent in Deutschland hartnäckig hoch.

Besonders Dienstleistungen treiben die Preise nach oben: Öffentliche Verkehrsmittel, Versicherungen und soziale Einrichtungen verzeichnen Preisanstiege im zweistelligen Bereich. Isabel Schnabel, Mitglied des EZB-Direktoriums, spricht daher von einer „hohen Hürde für weitere Zinsschritte“.

Eine wirtschaftliche Stagnation allein, so Schnabel, sei kein ausreichender Grund, die Zinsen erneut zu senken.

Europa stagniert, die USA verhandeln

Gleichzeitig zeigen sich die Konjunkturdaten enttäuschend. Das Wirtschaftswachstum im Euroraum schrumpft – von mageren 0,6 Prozent im ersten Quartal auf geschätzte 0,2 Prozent im zweiten. Auch Deutschland zeigt wieder Schwäche.

Die Industrieaufträge sinken, der Kreditmarkt kühlt sich spürbar ab, und die Konsumlaune bleibt verhalten. Die EZB selbst bestätigt: Banken in Europa vergeben deutlich weniger Konsum- und Unternehmenskredite – ein klares Zeichen, dass die bisherigen Zinserhöhungen wirken.

Hinzu kommt: Sollte der angedrohte Handelskonflikt mit den USA eskalieren, drohen neue Zolleffekte. Ein 30-Prozent-Zoll auf EU-Waren könnte laut Goldman Sachs das BIP im Euroraum bis Jahresende um 1,2 Prozent drücken – mit entsprechendem deflationären Effekt.

Der Euro wird zum geldpolitischen Bremsklotz

Auch der Außenwert der Gemeinschaftswährung trägt zur Zögerlichkeit der EZB bei. Der Euro hat seit Jahresbeginn deutlich aufgewertet – ein Umstand, der Importe verbilligt und die Preissteigerung weiter dämpft.

EZB hält am Leitzins fest – obwohl das Wirtschaftswachstum in der Eurozone unter 0,2 % gefallen ist und der Kreditmarkt spürbar abkühlt.

Für die Exportwirtschaft ist das eine Belastung, für die Inflationsstatistik ein Geschenk. Doch auch das verkompliziert die geldpolitische Lage. Denn die Wirkung ist real, aber nicht dauerhaft – und birgt politische Sprengkraft.

Zinssenkungen? Ja. Aber nicht sofort

Die Mehrheit der Analysten rechnet nicht mit einer Zinssenkung im Juli – sehr wohl aber mit einem Schritt im Herbst. Ökonomen bei Bloomberg erwarten eine Leitzinssenkung auf 1,75 % im September und möglicherweise einen finalen Schnitt auf 1,5 % im Dezember.

Damit würde die EZB ihren Zinssenkungszyklus 2025 beenden – und auf ein Niveau zurückkehren, das historisch moderat, aber angesichts der Unsicherheit nicht risikolos ist.

Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, sieht bereits das Ende der geldpolitischen Lockerung erreicht: „Die EZB ist mit ihren Zinssenkungen weitgehend durch.“ Für ihn überwiegen langfristige Inflationsrisiken: Deglobalisierung, Demografie und grüne Transformation seien strukturelle Preistreiber, die nicht verschwinden – selbst wenn Energiepreise und Handelszölle kurzfristig Entlastung bringen.

Zwischen Zögern und Zuversicht

Die EZB befindet sich in einer Phase geldpolitischer Ambivalenz. Das eigentliche Ziel – Preisstabilität – scheint erreicht, doch die Rahmenbedingungen sprechen dagegen, die Zinsen zu früh oder zu stark zu senken. Wer jetzt agiert, riskiert, das Inflationsfeuer erneut anzufachen. Wer zu lange wartet, könnte das fragile Wachstum ersticken.

Der kommende Zinsentscheid im September wird damit zur Nagelprobe für die Glaubwürdigkeit der EZB – und zum Lackmustest für ihren Kurs zwischen Inflationsbekämpfung und Konjunkturstützung.

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