Europa dreht an der Preisschraube
Rauchen soll teuer werden – richtig teuer. Laut einem Vorschlag der EU-Kommission könnten Zigaretten bis 2028 mehr als zwölf Euro pro Schachtel kosten. Das Ziel: Abschreckung durch den Geldbeutel. Doch während die Gesundheitspolitik applaudiert, regt sich in der Finanzwissenschaft Widerstand. Denn was als moralisch richtig gilt, muss nicht zwingend ökonomisch sinnvoll sein.
Jährlich kassiert der deutsche Fiskus rund 15 Milliarden Euro Tabaksteuer, hinzu kommen knapp 5 Milliarden Euro Mehrwertsteuer. Macht fast 20 Milliarden Euro Einnahmen – so viel, wie Deutschland für das komplette Verteidigungsministerium eines mittelgroßen EU-Staates ausgeben würde. Offiziell heißt es, das Geld diene dem Ausgleich der immensen Folgekosten durch Raucherkrankheiten. Doch diese Rechnung scheint zu wackeln.
Das verzerrte Bild vom teuren Raucher
Laut dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) verursacht das Rauchen jedes Jahr volkswirtschaftliche Kosten von mindestens 98 Milliarden Euro. Etwa 30 Milliarden davon sind direkte Krankheitskosten – Behandlungen, Pflege, Reha. Der Rest entfällt auf Arbeitsausfälle, Frühverrentung oder Todesfälle. Auf dem Papier übersteigen die Kosten also die Steuereinnahmen deutlich.
Doch Berthold Wigger, Professor am Karlsruher Institut für Technologie und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Finanzministeriums, hält diese Argumentation für methodisch fragwürdig. „Die meisten Studien betrachten nur ein einzelnes Jahr, nicht aber den gesamten Lebenszyklus“, sagt er. „Und sie blenden aus, dass Raucher im Schnitt früher sterben – und dadurch deutlich weniger Rente beziehen.“
Wigger hat mit seinem Kollegen Florian Steidl bereits 2015 eine umfangreiche Modellrechnung veröffentlicht – deren Ergebnisse heute aktueller sind denn je. Ihre zentrale These: Rauchen entlastet die öffentlichen Kassen – trotz aller Gesundheitskosten.
Der „death benefit“ – makaber, aber real
In ihrer Studie simulierten die beiden Ökonomen eine Gesellschaft ohne Raucher. Das Ergebnis: 36 Milliarden Euro Mehrkosten für den Staat. Grund: kürzere Leben bedeuten weniger Renten- und Pensionszahlungen. Männliche Raucher sterben im Schnitt 5,5 Jahre früher, Frauen 4,4 Jahre.
Im Modell summierten sich die eingesparten Altersleistungen auf über 190 Milliarden Euro. In der Fachliteratur spricht man vom „death benefit“ – einem moralisch unangenehmen, aber finanzmathematisch relevanten Effekt. Wigger betont:
„Wir bewerten das nicht normativ. Aber rein fiskalisch belasten Raucher die Gesellschaft nicht.“
Das klingt zynisch, ist aber ein wichtiger Unterschied: Gesundheitspolitisch kann eine Tabaksteuer sinnvoll sein, um Verhalten zu steuern. Finanzpolitisch lässt sie sich kaum noch mit Belastungsargumenten rechtfertigen.
Wie hoch sind die wahren Kosten?
Die Gegner dieser Sichtweise, etwa Tobias Effertz vom DKFZ, widersprechen vehement. Er verweist auf teure neue Krebstherapien, die inzwischen von den Krankenkassen übernommen werden – teilweise mit Kosten von über 100.000 Euro pro Patient. Raucher verbrächten laut Effertz heute längere Phasen schwerer Krankheit, die das System stark belasten. „Rauchen ist eine Belastung für alle Versicherten“, sagt er.
Doch auch diese Argumentation hat Lücken. Denn die höchsten Gesundheitskosten entstehen im letzten Lebensjahr – unabhängig davon, ob jemand raucht oder nicht. Oder, wie Wigger es formuliert: „Wer mit 70 an Lungenkrebs stirbt, stirbt mit 75 nicht an Darmkrebs.“
Tabakpolitik zwischen Moral und Mathematik
Fakt ist: Die EU plant eine drastische Verteuerung. Und die politische Logik dahinter ist verführerisch einfach – wer mehr zahlt, raucht weniger. Doch aus fiskalischer Sicht ist der Tabak längst ein Goldesel. Schon heute fließen über 60 Prozent des Zigarettenpreises in die Staatskasse. Bei einem Preis von zwölf Euro pro Schachtel läge der Steueranteil sogar bei rund 7,50 Euro.
Das ist mehr als der Staat an Benzin verdient – pro Schachtel. Die Tabaksteuer ist längst nicht mehr nur ein Instrument zur Prävention, sondern ein stabiler Beitrag zum Haushalt.
Der Zynismus der Zahlen
Die Wahrheit ist unbequem. Raucher sterben früher – und entlasten dadurch langfristig die öffentlichen Finanzen. Sie verursachen hohe medizinische Kosten, aber vermeiden teure Rentenjahre. Wer das offen ausspricht, riskiert Empörung.
Doch die nüchterne Analyse zeigt: Die Annahme vom Raucher als „Kostenfaktor“ ist wirtschaftlich kaum haltbar. Das eigentliche Dilemma liegt woanders – zwischen der moralischen Pflicht zur Gesundheitsförderung und dem fiskalischen Nutzen des Lasterhaften.
Am Ende bleibt ein bitterer Nachgeschmack: Je mehr Menschen mit dem Rauchen aufhören, desto teurer wird das System für die, die gesund leben.

