06. August, 2025

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Wie schlecht Deutschland auf Extremwetter vorbereitet ist

Die globale Erwärmung bringt Hitzewellen, Starkregen und Stürme – doch Deutschland hinkt beim Schutz hinterher. Manche Städte trotzen der Krise, andere ignorieren sie. Der große Realitätscheck.

Wie schlecht Deutschland auf Extremwetter vorbereitet ist
Trotz präziser Unwetterwarnung starben im Juli 2021 über 130 Menschen in Rheinland-Pfalz und NRW. Die Warnkette brach – nicht wegen fehlender Technik, sondern wegen mangelnder Zuständigkeiten, fehlender Sirenen und politischer Trägheit.

Wenn der Regen kommt – und niemand zuständig ist

Ein Jahrhunderthochwasser im Ahrtal, 134 Tote, Millionen an Schäden – und doch bleibt die wichtigste Frage: Warum hat niemand rechtzeitig gehandelt? Obwohl die Warnsysteme funktionierten, blieb die Evakuierung aus. Die Verantwortung? Zersplittert. Zuständigkeiten? Undurchsichtig.

Das Ahrtal war kein Einzelfall. Es war ein Weckruf – der vielerorts überhört wurde.

Zu teuer, zu kompliziert, zu früh. So klingen die Argumente gegen bessere Vorbereitung. Und lange galt: Wer sich um Klimaanpassung kümmert, hat beim CO₂-Sparen aufgegeben. Ein ideologischer Irrtum, der bis heute Folgen hat. Denn Schutzmaßnahmen und Emissionsminderung schließen sich nicht aus – sie bedingen sich.

Hamburg: Die leise Erfolgsstory

Wer durch Hamburgs Innenstadt läuft, sieht sie kaum: Mauern, Deiche, Schutzanlagen – integriert ins Stadtbild, unauffällig, effektiv. Die Stadt hat aus der Flutkatastrophe 1962 gelernt. Heute schützt sie sich leise, aber konsequent. Die HafenCity ist nach dem Warftenprinzip gebaut, Rettungswege liegen hoch.

Eine Stadt, die Wetter ernst nimmt – und zeigt, wie moderne Vorsorge geht.

Hitzewellen: Deutschland schwitzt – und stirbt

Jeder Hitzesommer kostet in Deutschland tausende Menschenleben. Altenheime ohne Klimaanlagen, aufgeheizte Busse, überforderte Kliniken. Und das, obwohl der Trend eindeutig ist: Hitzeperioden werden häufiger, länger, gefährlicher.

Bauingenieurin Lamia Messari-Becker bringt es auf den Punkt: „Pflegeheime ohne Klimatisierung sind nicht verantwortbar.“ Passiert ist trotzdem wenig.

Raps, Mais, Weizen – sie alle leiden unter Trockenheit. Neue Sorten zu züchten dauert Jahre. Und währenddessen? Einbußen, Frust, Unsicherheit. Landwirte passen sich an, so gut es geht: andere Fruchtfolgen, mehr Humus, bessere Böden.

Doch viele sind auf sich allein gestellt. Unterstützungsprogramme fehlen – oder versickern in Bürokratie.

Bahnverkehr: Wetter? Fahren wir lieber nicht

Früher versprach die Bahn, sie fahre „immer“. Heute reicht ein Sturm – und es geht nichts mehr. Oberleitungen reißen, Bäume stürzen, Gleise stehen unter Wasser.

Stürme, Starkregen und Hitze setzen dem Schienennetz immer häufiger zu. 2023 fielen wetterbedingt rund 20.000 Zugverbindungen aus. Während Gleise unterspült und Oberleitungen zerstört werden, fehlen vielerorts systematische Schutzmaßnahmen – und der Fahrplan kollabiert regelmäßig.

Die Bahn hat begonnen, Risiken zu kartieren, Bäume zu kontrollieren, Brücken neu zu planen. Aber das reicht nicht. Wenn die Bahn nicht einmal bei Regen funktioniert, wird sie im Klimawandel zum Problemfall.

Starkregen: München kann’s

Am 20. Mai 2019 regnete es in München so stark wie sonst in einem ganzen Monat. Doch die Stadt blieb trocken – dank unterirdischer Rückhaltebecken, intelligenter Kanalnetze und vorausschauender Planung.

Das Vorzeigeprojekt: Eine 90.000-Kubikmeter-Zisterne unter dem Hirschgarten, die Wasser aufnimmt, wenn alles andere überläuft. München zeigt, was geht – wenn man will.

Waldbrände: Feuerwehren mit falscher Ausrüstung

Brände in Jüterbog, Lübtheen, Treuenbrietzen – oft auf alten Militärflächen, schwer zugänglich, explosiv. Die Feuerwehren? Haben Schutzanzüge für Hausbrände, aber kaum Erfahrung mit Flächenfeuern.

Gegenfeuer legen? In Deutschland verboten. Training im Ausland? Selten. Der Brandexperte Alexander Held sagt: „Wir brauchen nicht nur Technik, sondern neue Waldkonzepte.“ Noch ist das Wunschdenken.

Grundwasser: Der unsichtbare Schatz schrumpft

Deutschland gewinnt 70 Prozent seines Trinkwassers aus Grundwasser. Doch Dürreperioden und Hitzewellen lassen die Reserven schrumpfen. Gleichzeitig steigt der Verbrauch.


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Das Projekt „Gruvo“ soll mit künstlicher Intelligenz Prognosen ermöglichen. Klingt modern – ist es auch. Nur: Die besten Daten nützen nichts, wenn am Ende niemand danach handelt.

Der Rhein – Vorbild mit Warnsystem

Als der Rhein 2011 über die Ufer zu treten drohte, griff der Plan: Polder geöffnet, Rückhaltebecken gefüllt, mobile Deiche aufgebaut. In Köln, Bonn, Düsseldorf lief alles nach Plan.

Heute steht der Hochwasserschutz am Rhein besser da als fast überall sonst. Was fehlt? Mehr solcher Projekte. Und weniger Warten auf den nächsten Pegelstand.

Ein Notvorrat für zehn Tage. Eine Taschenlampe. Ein Plan, was im Ernstfall zu tun ist. Das empfiehlt der Staat. Die Realität: Nur jeder siebte Deutsche hat ein Notfallgepäck.

Der Rest verlässt sich auf Strom, Internet und Supermärkte. Eine gefährliche Illusion. Denn Extremwetter bringt nicht nur Wasser, sondern auch Leere – in den Regalen, auf den Straßen, im Netz.

Kritische Infrastruktur: Marode im Alltag, anfällig in der Krise

Viele Krankenhäuser hängen am Stromnetz, Brücken brechen bei Hochwasser, Busse fahren nicht, wenn’s zu heiß wird. Deutschland modernisiert – langsam. Dabei wäre genau jetzt der Moment, um Asphalt hitzefest, Gebäude kühl und Wasserleitungen krisensicher zu machen.

Messari-Becker sagt: „Wenn der Bus bei 38 Grad nicht fährt, ist das keine Lappalie – sondern eine Frage der öffentlichen Daseinsvorsorge.“

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