„Ich war morgens im Büro, als plötzlich klar war: Um zehn Uhr geht es raus“, erinnert sich ein langjähriger Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz. „So schnelle Entscheidungen sind in unserer Behörde sonst unmöglich.“ Was normalerweise Wochen der Abstimmung braucht, wurde an diesem Tag zur Chefsache – nicht aus Sorge um die Demokratie, sondern offenbar für einen medienwirksamen Auftritt der damaligen Ministerin.
Am Morgen des 2. Mai, nur zwei Tage vor Faesers offiziellem Ausscheiden aus dem Amt, kam der Befehl aus dem Bundesinnenministerium: Das über 1.000 Seiten starke Gutachten zur AfD sollte umgehend veröffentlicht werden – „idealerweise gegen zehn Uhr“. Pünktlich um 10:02 Uhr ging die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ online. Wenig später stand Faeser vor den Kameras.
Politische Kommunikation oder Inszenierung?
Offiziell hieß es aus dem Innenministerium, man wolle Transparenz schaffen. Doch hinter den Kulissen wirkte es anders: Bereits am 28. April lag das Gutachten dem Ministerium vor. Zeit genug also für eine inhaltliche und organisatorische Vorbereitung – oder für politisches Timing?

Tatsächlich spricht vieles dafür, dass die Entscheidung nicht aus institutionellen Gründen getroffen wurde, sondern, um Faeser ein letztes Mal die Bühne zu sichern. Die Presseauftritte waren längst vorbereitet, der Zeitpunkt der Veröffentlichung minutiös auf den Terminkalender der Ministerin abgestimmt.
Keine Einflussnahme auf den Inhalt – aber auf das Timing
Nancy Faeser betont bis heute, sie habe inhaltlich keinerlei Einfluss auf das Gutachten genommen. Das sei allein Sache des Verfassungsschutzes gewesen. Doch genau darum geht es nicht. Die Frage ist nicht, wer was geschrieben hat – sondern wann und warum es veröffentlicht wurde. Und in diesem Punkt ist der Vorgang brisant.
Denn wenn der Zeitpunkt der Veröffentlichung eines solchen Gutachtens nicht mehr ausschließlich nach sachlichen, sondern nach strategischen Kriterien entschieden wird, verschwimmen die Grenzen zwischen unabhängiger Behördenarbeit und politischer Einflussnahme.
Das schadet nicht nur dem Ansehen der Behörde, sondern auch der Glaubwürdigkeit des Gutachtens selbst – unabhängig davon, wie fundiert es inhaltlich ist.
Der Verfassungsschützer, der anonym bleiben möchte, beschreibt die Stimmung am Tag der Veröffentlichung als „angespannt bis hektisch“. Es habe klare Anweisungen gegeben, keine Diskussionen.
„Wir sollten liefern – nicht reflektieren“, sagt er.
Für eine Behörde, die üblicherweise auf größte Diskretion und Sorgfalt bedacht ist, sei das ein unüblicher Zustand gewesen. „Es fühlte sich an wie die Räumung vor einem Umzug. Nur dass keiner genau wusste, wer noch für was verantwortlich war.“
Ein Risiko für die politische Kultur
Der Fall Faeser ist kein Skandal im klassischen Sinne. Kein Gesetz wurde gebrochen, keine Akte manipuliert. Und doch offenbart der Vorgang ein Problem: Wenn politische Inszenierung wichtiger wird als institutionelle Abläufe, leidet die Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen in die Unabhängigkeit von Behörden ist ein zentraler Pfeiler der Demokratie. Es muss nicht nur real vorhanden sein – es muss auch als solches wahrgenommen werden.
Die Frage bleibt: Dient das Timing der Wahrheit – oder der Schlagzeile?
Im Fall Faeser scheint die Antwort eindeutig. Und sie ist kein gutes Zeichen für eine politische Kultur, die Anspruch auf Seriosität erhebt.
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