19. Juli, 2025

Krypto

Wenn 500 Milliarden Dollar in der Hosentasche stecken

Das französische Start-up Ledger sichert laut eigenen Angaben ein Fünftel aller Kryptowährungen weltweit – und gerät nun selbst ins Visier von Kriminellen. Ein brutaler Erpressungsfall erschüttert das Vertrauen in die Sicherheit des Systems.

Wenn 500 Milliarden Dollar in der Hosentasche stecken
Das Start-up Ledger sichert nach eigenen Angaben über 500 Milliarden US-Dollar in Bitcoin und Co. – doch nach einem brutalen Entführungsfall steht das Versprechen absoluter Sicherheit in Zweifel.

Der neue Tresor für die Weltelite

Sie sehen aus wie ein ganz normaler USB-Stick, doch sie tragen das digitale Äquivalent eines Schließfachs der Schweizer Nationalbank in sich: Hardware-Wallets der Firma Ledger aus Paris.

Fast 20 Prozent der weltweiten Kryptoguthaben – Bitcoin, Ether, Stablecoins – sollen auf diesen Geräten lagern. Ihr Versprechen: totale Kontrolle, maximale Sicherheit, null Risiko. Ein Versprechen, das ins Wanken geraten ist.

Denn die neue Realität sieht anders aus: Reichtum, der früher diskret hinter Bankmauern verschwand, trägt heute jeder in der Jackentasche. Und der Zugriff auf Millionen, manchmal Milliarden, lässt sich nicht mehr mit einem Schlüssel sichern – sondern nur mit einem Zahlencode. Wer diesen Code kennt, besitzt das Vermögen. Wer ihn klaut, ebenso.

Der Anruf aus der Gepäckablage

Ian Rogers, Chief Experience Officer bei Ledger, hat gelernt, in solchen Momenten Ruhe zu bewahren. Der ehemalige Apple- und LVMH-Manager ist so etwas wie der Butler der neuen Krypto-Elite.

Ledger wirbt mit digitalen Tresoren für die Hosentasche – dabei geriet ein Firmengründer selbst in die Fänge von Entführern, die ihn folterten und 10 Millionen Euro in Bitcoin forderten.

Kürzlich rief ihn ein panischer Popstar an: Er hatte sein Wallet im Flugzeug vergessen. Auf dem Spiel standen siebenstellige Summen. Rogers blieb ruhig – und konnte das Vermögen mithilfe eines Notfallsystems retten. Noch einmal gut gegangen.

Doch nicht immer verläuft es so glimpflich.

Das dunkle Kapitel von Méreau

Im Januar wurde David Balland, Mitgründer von Ledger, in seinem Haus überfallen, verschleppt und gefoltert. Die Täter – bewaffnet, organisiert, zielgerichtet – schnitten ihm einen Finger ab und forderten zehn Millionen Euro in Bitcoin.

Ein Video davon ging an seinen früheren Partner. Nach 48 Stunden griff die Polizei zu. Die Täter wurden gefasst. Doch Ledger stand plötzlich im Zentrum einer Geschichte, die eher zu einem Mafiafilm passt als zu einem Sicherheitsunternehmen.

Die Botschaft: Wer Reichtum digital transportiert, trägt ihn körperlich bei sich – und ist damit angreifbar.

Sicherheit als Illusion

Ledger hat sich über Jahre als Bollwerk gegen Hacker inszeniert. „Selbstverwahrung ist besser“, lautet der Leitsatz. Die Idee: Wer sein Vermögen selbst speichert, ist unabhängig – von Börsen, von Banken, von Staaten.

Der Markt folgte: Rund 8 Millionen Wallets hat das Unternehmen bisher verkauft. Doch der Vorfall mit Balland zeigt: Die neue Bedrohung kommt nicht mehr nur über das Internet. Sie klingelt an der Tür.

20 Prozent aller globalen Kryptowerte sollen auf Ledger-Geräten lagern. Der Verlust eines Wallets – etwa im Flugzeug – kann dennoch zur existenziellen Bedrohung werden.

Aus dem digitalen Dieb ist der analoge Räuber geworden. Das ist eine neue Qualität – und ein Problem, das Ledger nicht einfach mit Software-Updates lösen kann.

Das Einhorn mit Sicherheitslücke

Die Firma selbst gibt sich unbeeindruckt. Balland sei schon 2021 ausgeschieden, heißt es. Und der Vorfall habe mit Ledger „nichts zu tun“.

Doch intern sind die Reaktionen deutlich: Die Namen der Führungskräfte wurden stillschweigend von der Website entfernt. Rogers, sonst kein Freund von Personenschutz, reist inzwischen diskreter. Vertrauen sei gut – aber Diskretion sei besser.

Die Frage bleibt: Was bedeutet Sicherheit, wenn selbst das sicherste System Menschenleben kostet?

Ein Monopol auf digitale Tresore

Ledger ist kein Start-up mehr, sondern ein strategischer Eckpfeiler der globalen Krypto-Infrastruktur. Unterstützt von Schwergewichten wie Samsung und LVMH, bewertet mit über einer Milliarde Euro.

In Frankreich gilt das Unternehmen als nationales Vorzeigeprojekt. Inzwischen wird sogar in einer eigenen Fabrik im verschlafenen Vierzon produziert – ein modernes Pendant zum Drucksaal der Banque de France.

Und doch ist der Wettbewerb altmodisch geblieben: Der größte Konkurrent von Ledger ist kein Techgigant, sondern ein Blatt Papier. Viele Kryptobesitzer schreiben ihre Zugangscodes weiterhin auf, bewahren sie in Safes auf – oder im Kopf. Weil sie ahnen: Was online ist, kann gestohlen werden. Und was offline ist, kann verloren gehen.

Ein Markt zwischen Panik und Premium

Trotz aller Risiken: Der Markt boomt. Bitcoin kratzt an der 125.000-Dollar-Marke, Ether zieht nach, und mit jeder Kurssteigerung wächst der Kundenstamm. Besonders für die sogenannten „Wale“ – Anleger mit gewaltigen Beständen – sind Offline-Wallets das Mittel der Wahl.

Denn sie wollen nicht nur Sicherheit, sondern Kontrolle. Ledger profitiert: Die Verkäufe haben sich zwischen 2021 und 2024 verdoppelt, zusätzlich verdienen die Franzosen mit Services wie der App Ledger Live und einem Recovery-Dienst.

Doch ausgerechnet dieser Dienst war im vergangenen Jahr Ziel eines Hacks. Die Nutzer mussten feststellen: Selbst wer das Internet meidet, ist nicht völlig unverwundbar.

Der Preis des Fortschritts

Ledger steht exemplarisch für das Dilemma der Kryptoindustrie: Einerseits ermöglicht sie Souveränität und Unabhängigkeit. Andererseits verlagert sie Risiken vom System zum Individuum. Der Diebstahl eines Passworts kann heute das Lebenswerk zerstören. Und die Antwort der Branche lautet bisher: „Sei vorsichtig.“

Doch Vorsicht schützt nicht vor Entführungen. Und auch nicht vor dem Umstand, dass digitale Werte ein physisches Problem geworden sind.

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