Wenn das Gericht zur Bühne wird
New York, Manhattan, Gerichtssaal 443. Eigentlich geht es hier um den Vorwurf des sexuellen Menschenhandels gegen den Musiker Sean Combs, besser bekannt als „Diddy“.
Die Anschuldigungen sind massiv, der Prozess könnte das Leben des Rappers verändern. Doch bevor die Verhandlung überhaupt startet, spielt sich ein ganz anderes Spektakel ab: die Auswahl der Jury.
Was normalerweise ein nüchterner Verwaltungsakt ist, wird zur schrillen Mischung aus Alltagskomik, Popkultur-Referenzen und persönlichen Geständnissen.
Eine Lehrerin erzählt von einem geklauten Zauberstab in „Harry Potter World“, ein Juror gesteht seine K-Pop-Leidenschaft und ein anderer will sich nicht vom täglichen Marihuana-Konsum trennen.
Tagesordnung: Peinlichkeiten, Popstars, Prozessfähigkeit
Richter Arun Subramanian führt durch die Prozedur. Vor ihm rund 100 potenzielle Geschworene – Lehrer, Rentner, Ärzte, Schulsekretärinnen. Jeder Einzelne wird befragt, ob er oder sie in der Lage ist, neutral zu urteilen, trotz der brisanten Vorwürfe. Die Antworten reichen von tieftraurig bis unfreiwillig komisch.
Einige berichten von eigenen traumatischen Erfahrungen mit sexueller Gewalt. Andere nutzen die Gelegenheit für überraschend intime Einblicke – und sorgen damit für Lacher im Saal.
Der Harry-Potter-Fall
Eine Bewerberin, heute Pflegekraft, schildert einen Vorfall aus ihrer Jugend. Als Teenager wurde sie im Freizeitpark „Harry Potter World“ beim Klauen erwischt.
Der Richter fragt, was genau sie gestohlen habe. „Einen Zauberstab“, sagt sie leise. Es ist ein Moment zwischen Fremdscham und Schmunzeln. Die Anwälte lachen. Diddy auch.

Keine Minze für den Angeklagten
Auch kleine Gesten sagen viel: Während einer Pause greift Combs’ Beraterin zur Altoids-Dose. Diddy, offenbar mit Minzsehnsucht, deutet auf die Dose. Zwei US-Marshals hinter ihm schütteln synchron den Kopf. Keine Minze im Gerichtssaal. Die Dose bleibt zu. Und der Angeklagte – nimmt es mit Humor.
Ein Mann aus der Bronx gibt an, jeden Abend Marihuana zu konsumieren. Der Richter fragt, ob er bereit sei, für die Dauer des Prozesses darauf zu verzichten. „Wird schwierig“, antwortet der Mann. Wenige Minuten später ist er raus.
Star Wars statt Strafprozess
Ein anderer Juror, Radiologe, liefert eine Erklärung, warum sein Fragebogen lückenhaft sei: Er habe Schlafapnoe – und außerdem die halbe Nacht mit der neuen Star Wars-Serie Andor verbracht.
Der Richter fragt trocken: „Und wenn Sie als Juror ausgewählt werden?“ – „Ich hab die Staffel durch“, kommt die Antwort. Der Mann bleibt im Rennen.
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K-Pop-Fanclub auf Platz 51
Eine 51-jährige Krankenschwester berichtet von ihrer Leidenschaft für BTS – die größte K-Pop-Band der Welt. Als der Richter wissen will, wie sie von den Vorwürfen gegen Combs erfahren habe, sagt sie: „Sie haben es uns gestern gesagt.“ Wieder lacht der ganze Saal.
Dann betritt ein junger Mann den Saal. Auf die Frage nach seinem Beruf sagt er: „Ich arbeite im MDC Brooklyn.“ Genau dort, wo Combs aktuell einsitzt. Einen Moment lang ist es still, dann Witze: Ob er die Besuchszeiten verlängern könne. Der Richter fragt: „Sind Sie dafür zuständig?“ Antwort: „Nope.“ Auch er wird entlassen.
Richter mit Tolkien-Referenz
Richter Subramanian, selbst kein Kind der humorlosen Zunft, kommentiert die ellenlange Liste der Prozessbeteiligten so: „Das liest sich wie der Anhang von Herr der Ringe.“ Die Liste enthält über 200 Namen, darunter Kanye West und Kid Cudi – und auch einen gewissen „Mike Myers“, bei dem sich niemand sicher ist, ob Shrek gemeint ist oder jemand anders.
Worum es wirklich geht
Trotz aller Kuriositäten bleibt der Anlass bitterernst. Combs ist mit schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert, die ihn im Falle einer Verurteilung für viele Jahre ins Gefängnis bringen könnten. Die Jury muss in der Lage sein, über ein Leben zu urteilen, das wenig mit ihrem eigenen zu tun hat – unabhängig, fair und auf Basis der Beweise.
Ein Prozess, wie ihn nur Amerika kennt
Dass die Jurywahl dabei zur Bühne wird, ist kein Zufall, sondern Teil eines Systems, das auf gesellschaftliche Beteiligung setzt – mit all ihren Brüchen, Eigenheiten und Absurditäten. Hier wird nicht nur Recht gesprochen, sondern Gesellschaft abgebildet. Ungefiltert.
Am Freitag soll die Auswahl abgeschlossen sein. Dann beginnt der eigentliche Prozess. Die Show – die war schon vorher.
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