Ein Rückzug, der keiner ist
Offiziell verlässt Paul Bulcke den Nestlé-Verwaltungsrat im April 2026, ein Jahr vor dem eigentlichen Ende seiner Amtszeit. Die Begründung: mehr Zeit für die Familie. In Wahrheit handelt es sich um einen Rückzug auf Druck – verpackt als freiwilliger Abschied.
Hinter den Kulissen hatten sich in den letzten Monaten die Stimmen gemehrt, die seine Alleingänge nicht länger dulden wollten. Der Verwaltungsrat war nicht mehr bereit, sich weiter übergehen zu lassen.
Der Sturz eines Strippenziehers
Bulcke war nie ein Manager der leisen Töne. Als CEO von 2008 bis 2016 hatte er das Haus noch nach außen hin kontrolliert geführt, als Verwaltungsratspräsident setzte er auf Durchgriff – oft ohne Absprache, gelegentlich gegen Widerstand.
Der Rauswurf von Mark Schneider im vergangenen Jahr – intern wurde er als „Nacht-und-Nebel-Aktion“ bezeichnet – war für viele der erste offene Bruch mit dem Selbstverständnis eines multinationalen Konzerns.
Die Krönung seines autoritären Stils folgte wenige Monate später: Die Ernennung von Laurent Freixe zum CEO entschied Bulcke im Alleingang – und überging dabei einen Großteil der Verwaltungsräte, besonders die internationalen Vertreter. Das politische Klima im Board kippte.
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Ein CEO ohne Kurs, ein Präsident ohne Mehrheit
Als Freixe im November seine Vision für Nestlé präsentierte, blieb der große Wurf aus. Statt Strategie gab es Floskeln, statt Aufbruch nur Ratlosigkeit. Investoren rieben sich die Augen, Analysten kritisierten mangelnden Fokus.
Die Zweifel an Freixe weiteten sich rasch zu Zweifeln an Bulcke aus. Zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit hatte der Verwaltungsratspräsident seine Macht genutzt, um ein Führungsteam ohne ausreichenden Rückhalt zu installieren. Ein Risiko – diesmal zu groß.
Besonders schwer wog die nächste Personalie: Bulcke wollte auch Nestlés Amerikachef Steve Presley absetzen. Ein Drittel des Umsatzes wird in den USA erwirtschaftet, Presley galt als verlässlicher Macher. Seine Absetzung im gleichen autoritären Stil war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Ein Verwaltungsrat sagt Nein
Bulcke hatte sich verrechnet. Nicht nur die Vertreter aus Übersee, auch interne Kreise hatten genug von seinem Stil. Der Machtmensch, der Nestlé einst durch komplexe Umbrüche steuerte, war zum Risiko geworden. Die Mehrheit im Verwaltungsrat war nicht mehr hinter ihm – der politische Boden unter seinen Füßen war weg.
Dass er nun noch bis zur Generalversammlung im Amt bleiben darf, ist den Schweizer Regularien geschuldet. Verwaltungsratsmitglieder werden jährlich gewählt. Der symbolische Gesichtsverlust bleibt dennoch vollständig.
Nestlé zwischen Umbruch und Führungsvakuum
Die Nachfolge ist bereits absehbar: Pablo Isla, langjähriger CEO von Inditex (Zara), soll übernehmen. Ein profilierter Manager mit internationalem Ruf – und ein Gegenentwurf zu Bulcke.
Ob er Nestlé wieder Richtung geben kann, ist offen. Der Konzern braucht jetzt vor allem eines: klare Führung und strategische Kohärenz. Nach Jahren des dirigistischen Managements durch Bulcke hat sich in Vevey eine gewisse innere Leere breitgemacht.
Was bleibt vom „alten Nestlé“?
Paul Bulcke war das Gesicht eines Nestlé-Modells, das auf Stabilität, Disziplin und Hierarchie setzte. Damit war er lange erfolgreich – doch in einer Welt der dezentralen Netzwerke, der Diversität und des Dialogs wirkt dieses Führungsverständnis zunehmend überholt.
Der Abgang des Präsidenten markiert auch einen mentalen Bruch mit der Vergangenheit. Nestlé will sich neu aufstellen – und muss dafür zunächst aufräumen.
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