09. Juli, 2025

Energy

Warum Norwegens Ölfonds in Deutschlands Stromadern investieren will

Der größte Staatsfonds der Welt prüft den Einstieg bei Tennet und Amprion – und könnte zum wichtigsten Kapitalgeber der Energiewende werden. Doch der Deal hat eine Schieflage, über die kaum jemand spricht.

Warum Norwegens Ölfonds in Deutschlands Stromadern investieren will
Der Ölfonds Norges verwaltet rund 1,6 Billionen €, ist aber keinem deutschen Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig. Eine Beteiligung an Stromnetzen wirft Fragen zur Souveränität auf.

Kapital ja – Kontrolle nein?

Während in Berlin über Industriestrompreise gestritten wird, zeichnet sich im Hintergrund ein viel größeres Thema ab: die Kontrolle über das deutsche Stromnetz.

Still, aber strategisch präzise, sondiert der norwegische Staatsfonds Norges Bank Investment Management – mit einem Vermögen von 1,6 Billionen Euro der größte der Welt – eine Milliardenbeteiligung an gleich zwei zentralen Netzbetreibern: Tennet Deutschland und Amprion.

Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Beide Unternehmen müssen in den kommenden Jahren gigantische Summen in den Netzausbau investieren. Tennet spricht von 110 Milliarden Euro bis 2034, Amprion von 36,4 Milliarden bis 2029.

Dass sich weder der niederländische Staat (Tennet) noch RWE (Amprion) die nötigen Mittel dauerhaft ans Bein binden wollen, öffnet nun die Tür für ausländische Investoren.

Ein Fonds auf Einkaufstour – nicht aus Wohltätigkeit

Norges ist keine wohltätige Institution. Der norwegische Fonds investiert gezielt in solide, langfristige Infrastrukturprojekte mit stabilen Cashflows – am liebsten mit Regulierungsschutz.

Und genau da liegt der Reiz: In Deutschland ist der Netzbetrieb staatlich reguliert, das Risiko gering, die Einnahmen planbar. Trotzdem warnen die Netzbetreiber seit Jahren: Die Eigenkapitalrenditen, die die Bundesnetzagentur zulässt, sind zu niedrig. Private Investoren würden eher abgeschreckt als angelockt.

Warum also interessiert sich ausgerechnet der größte Fonds der Welt für diese vermeintlich unattraktive Branche? Die Antwort liegt im Maßstab. Für ein Finanzvehikel wie Norges ist die Sicherheit wichtiger als die Spitzenrendite.

Zehn Milliarden Euro in ein reguliertes Netz zu stecken, das über Jahrzehnte verlässlich Erträge liefert, ist für Norwegen genau die richtige Art von Langfristwette – besonders in einem Land mit hoher Bonität, politischer Stabilität und wachsender Bedeutung als Stromdrehscheibe in Europa.

Börsengang oder Hinterzimmerdeal – wem gehört das Netz?

Tennet steht dabei im Fokus. Die Niederländer prüfen derzeit zwei Modelle: Entweder ein Börsengang noch 2025, bei dem Norges als Ankeraktionär auftreten könnte – oder eine exklusive Privatplatzierung gemeinsam mit dem niederländischen Pensionsfonds APG.

Letzterer verwaltet selbst über 600 Milliarden Euro und gilt ebenfalls als langfristig orientierter Infrastrukturinvestor.

Mit Norges und APG könnten bald zwei nicht-deutsche Investoren über zentrale Trassen im deutschen Stromnetz mitentscheiden – inklusive Zugang zu strategischer Versorgungskritik.

Beide Varianten hätten Konsequenzen. Der Börsengang würde mehr Öffentlichkeit bringen, aber wohl weniger Geld in der ersten Runde. Die Privatplatzierung wäre diskreter – und würde Norges direkten Einfluss sichern. In jedem Fall würde der niederländische Staat als Eigentümer von Tennet seinen Anteil verwässern – eine schleichende Entstaatlichung eines kritischen Netzes.

Auch Amprion im Visier – RWE will raus

Parallel dazu laufen Gespräche rund um Amprion. Der Netzbetreiber ist vor allem im Westen und Südwesten Deutschlands aktiv – dort, wo Industrie und Stromverbrauch hoch sind. Großaktionär RWE sucht nach Wegen, seine 25 Prozent loszuwerden.

Offiziell, weil die Investitionen zu hoch seien. Inoffiziell, weil das klassische Energiegeschäft wieder attraktiver erscheint als langlaufende Netzprojekte mit gedeckelten Margen.

Auch hier könnten Norges und APG einsteigen – direkt oder über eine neu gegründete Holdingstruktur. Das Muster ist identisch: Der Staat zieht sich zurück, private Investoren füllen die Lücke. Und wieder stellt sich die Frage: Wer hat am Ende die Kontrolle?

Ein geopolitisches Eigentor mit Ansage?

Deutschland will die Energiewende. Doch beim Rückgrat – dem Netz – fehlen eigene Mittel. Der norwegische Fonds hätte die nötige Schlagkraft. Aber der Preis ist hoch: Einfluss auf ein zentrales Infrastrukturnetz durch einen ausländischen Akteur, der nicht demokratisch legitimiert ist.

Noch sind Norges und APG nur Interessenten. Doch die Verhandlungen sind weit fortgeschritten, das Investitionsinteresse konkret. Dass sich gleich zwei große, europäische Player parallel für zwei zentrale Stromautobahnen interessieren, ist kein Zufall – sondern strategisch kluges Vorgehen.

Zwischen Rendite und Regulierung

Die Netzbetreiber kämpfen derweil mit einem anderen Problem: Die Bundesnetzagentur erlaubt derzeit Eigenkapitalrenditen von knapp 5 Prozent – zu wenig, um viele institutionelle Anleger zu locken, zu viel, um keine politischen Diskussionen über Strompreise zu entfachen.

Hier liegt die eigentliche Konfliktlinie: Der Staat will günstige Strompreise und gleichzeitig private Milliarden für die Energiewende. Beides zusammen funktioniert nur, solange Investoren mitspielen. Und solange das Modell „Stabilität statt Hochrendite“ für Fonds wie Norges funktioniert.

Ein gefährlicher Präzedenzfall

Ein Einstieg von Norges wäre ein Meilenstein – nicht nur finanziell, sondern strukturell. Wenn ein ausländischer Staatsfonds die Kontrolle über kritische Infrastruktur übernimmt, ändert sich das Machtgefüge im Energiesystem. Der Fonds agiert im Interesse Norwegens, nicht Deutschlands. Was passiert, wenn die Interessen auseinanderdriften?

Derzeit drängt die Zeit. Tennet muss noch 2025 eine Lösung präsentieren, Amprion hat ebenfalls Druck. Der deutsche Staat wirkt dabei passiv – aus Angst vor neuen Milliardenlasten auf der Haushaltsseite.

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