11. Oktober, 2025

Global

Waffenruhe in Gaza – ein brüchiger Frieden unter Aufsicht Washingtons

Nach fast zwei Jahren Krieg schweigen erstmals die Waffen zwischen Israel und der Hamas. Der Preis: ein riskanter Austausch von Geiseln gegen Häftlinge – und ein fragiles Gleichgewicht zwischen Hoffnung und Misstrauen.

Waffenruhe in Gaza – ein brüchiger Frieden unter Aufsicht Washingtons
Waffenruhe unter Aufsicht: Zum ersten Mal seit fast zwei Jahren schweigen die Waffen zwischen Israel und der Hamas – ein Erfolg diplomatischen Drucks, nicht gegenseitigen Vertrauens.

Die Uhr schlägt zwölf – und das Schweigen beginnt. Um Punkt 12 Uhr Ortszeit trat am Freitag die vereinbarte Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas in Kraft. Nach Monaten der Verwüstung, internationalen Proteste und unzähligen diplomatischen Vermittlungsversuche scheint der Nahostkonflikt zumindest vorübergehend stillzustehen.

Doch hinter der formalen Feuerpause steckt weit mehr als ein Moment des Innehaltens. Es ist der erste reale Test für den von US-Präsident Donald Trump ausgehandelten Friedensplan, der in Israel ebenso umstritten ist wie in Gaza. „Dies ist keine Lösung“, kommentierte ein israelischer Analyst im Fernsehen, „es ist ein Deal auf Zeit.“

Ein Tauschgeschäft mit politischem Sprengstoff

Die Vereinbarung sieht vor, dass innerhalb von 72 Stunden nach Inkrafttreten der Waffenruhe 48 israelische Geiseln – von denen nach offiziellen Angaben 20 noch leben sollen – freigelassen werden. Im Gegenzug entlässt Israel mehr als 2.000 palästinensische Gefangene, darunter 250 zu lebenslanger Haft verurteilte Kämpfer.

Der Austausch ist Teil eines mehrstufigen Plans, der unter Aufsicht einer internationalen Stabilisierungstruppe (ISF) umgesetzt werden soll. Erst wenn diese in Gaza stationiert ist, sollen israelische Truppen vollständig abziehen. Eine Entwaffnung der Hamas bleibt vorerst nur auf dem Papier – und genau das macht westliche Sicherheitskreise nervös.

„Die Hamas nutzt jede Waffenruhe zur Reorganisation“, warnt ein ranghoher israelischer Militär. „Ohne Kontrolle am Boden ist der Frieden nur eine Illusion.“

Ein Deal unter Druck

Dass die Waffen überhaupt schweigen, ist Ergebnis massiven US-Drucks auf Jerusalem. Trump hatte zuletzt mehrfach gefordert, Israel müsse die militärischen Operationen „temporär einstellen“, um eine Geiselfreilassung zu ermöglichen. Die israelische Regierung stimmte nach wochenlangem Ringen zu – nicht zuletzt, um ein diplomatisches Zerwürfnis mit Washington zu vermeiden.

Für Trump ist die Waffenruhe auch innenpolitisches Kalkül. Der selbsternannte „Dealmaker“ will seinen außenpolitischen Erfolg im Wahlkampf 2026 vermarkten. „Nur Stärke bringt Frieden“, sagte er am Donnerstagabend im Weißen Haus. Doch in Brüssel und Berlin überwiegt Skepsis. EU-Diplomaten warnen vor einem „Frieden ohne Fundament“, solange die Hamas nicht entwaffnet und der Gazastreifen nicht international verwaltet werde.

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Gaza zwischen Erschöpfung und Unsicherheit

Im Gazastreifen selbst herrscht nach 23 Monaten Krieg eine Mischung aus Erleichterung und Angst. Strom- und Wasserknappheit, zerstörte Infrastruktur, Hunger – die humanitäre Lage ist katastrophal. Mehr als 67.000 Palästinenser sind nach Angaben der dortigen Gesundheitsbehörde seit Beginn des Kriegs getötet worden.

Hilfsorganisationen sprechen von der schwersten humanitären Krise in der Geschichte des Gazastreifens. Schon kurz nach Beginn der Waffenruhe bildeten sich lange Schlangen vor Wasserstellen und Lebensmittelverteilungen. „Frieden ist ein Luxuswort“, sagt eine Ärztin aus Gaza-Stadt. „Für die Menschen hier bedeutet es einfach, heute nicht zu sterben.“

Frieden gegen Gefangene: Israel entlässt 2.000 Palästinenser, darunter 250 mit lebenslanger Haftstrafe – ein politisch riskanter Preis für 48 Geiseln.

Ein Land im moralischen Zwiespalt

In Israel selbst sorgt der Geiselaustausch für tiefe Risse. Während Angehörige der Verschleppten den Deal als letzte Hoffnung feiern, sprechen nationalistische Kräfte von einem „Kapitulationsakt“. Besonders der Punkt, dass verurteilte Terroristen freikommen, stößt auf Widerstand.

Premierminister Benjamin Netanjahu steht innenpolitisch unter enormem Druck. Nach Monaten des Kriegs, wachsender Isolation und Protesten gegen seine Regierung ist die Waffenruhe ein riskantes Manöver. Sie bietet ihm zwar kurzfristig Entlastung, schwächt aber seine politische Position im rechten Lager.

Ein Berater des israelischen Sicherheitskabinetts fasst die Stimmung so zusammen: „Es ist ein fauler Frieden, aber vielleicht der einzige, den wir derzeit bekommen.“

Europas Rolle: Beobachter statt Gestalter

Auch in Europa reagiert man zurückhaltend. Die EU-Außenbeauftragte begrüßte zwar die Feuerpause, mahnte aber eine nachhaltige politische Lösung an. Insbesondere Deutschland und Frankreich drängen auf eine internationale Nachkriegsordnung, die sowohl Israels Sicherheit als auch eine Wiederaufbauperspektive für Gaza garantiert.

Ökonomisch ist der Konflikt längst global: Energiepreise bleiben volatil, Lieferketten im östlichen Mittelmeerraum gestört, und die Verteidigungsetats in der Region steigen weiter. Für Investoren bedeutet der Waffenstillstand daher keine Entwarnung, sondern eine Atempause – mehr nicht.

Der Preis des Friedens

Ob die Waffenruhe hält, wird sich binnen Tagen entscheiden. Denn noch weigert sich die Hamas, ihre Waffen vollständig aufzugeben – ein Kernpunkt des US-Plans. Sollte die Organisation erneut zu Angriffen übergehen, droht der fragile Deal zu zerbrechen, bevor er Wirkung entfalten kann.

Für Israel steht die Sicherheit im Vordergrund. Für Washington der geopolitische Erfolg. Und für die Zivilbevölkerung? Es geht schlicht ums Überleben.

Frieden auf Abruf

Die Feuerpause in Gaza ist kein Durchbruch – sie ist ein Verhandlungslabor. Die kommenden Tage werden zeigen, ob Diplomatie stärker ist als der Reflex zur Gewalt.

Europa schaut zu, Amerika diktiert – und der Nahe Osten steht erneut zwischen Hoffnung und Zynismus.
Wenn diese Waffenruhe scheitert, dann nicht an mangelndem Willen, sondern an der Realität eines Krieges, der längst mehr zerstört hat als nur Städte: das Vertrauen in eine dauerhafte Ordnung.

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