Die Vienna Insurance Group (VIG) braucht in diesem Herbst keine großen Worte, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Ein einziger Satz aus der Führungsetage reicht: Die Prognose für 2025 wird angehoben – und zwar so deutlich, dass selbst Analysten zweimal hinsehen mussten.

Statt bisher 950 Millionen bis eine Milliarde Euro stellt der Versicherer nun ein Vorsteuerergebnis zwischen 1,10 und 1,15 Milliarden Euro in Aussicht. Ein Sprung, der weit mehr ist als bloße Feinjustierung.
Starker Anlauf – und ein Ergebnis, das überrascht
Der Grund für die neue Selbstsicherheit liegt in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres. 873 Millionen Euro erwirtschaftete die VIG vor Steuern – über 30 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Ein Wert, der selbst im traditionell stabilen Versicherungsgeschäft auffällt.
Vor allem, weil die Branche mit mehreren gleichzeitig laufenden Herausforderungen kämpft: steigende Schadenkosten, volatile Kapitalmärkte, anhaltender Inflationsdruck. Dass die VIG in diesem Umfeld so deutlich wächst, lässt auf operative Stärke schließen – und auf eine Robustheit, die nicht selbstverständlich ist.
Treiber aus Mittel- und Osteuropa – ein Markt, der unterschätzt wird
Ein Großteil der Dynamik stammt aus jenen Regionen, die von vielen Marktbeobachtern lange als schwieriges Terrain abgetan wurden: Mittel- und Osteuropa.
Dort ist die VIG seit Jahren breit aufgestellt und profitiert von zwei Entwicklungen, die in Westeuropa weitgehend ausgereizt sind: steigender Versicherungsbedarf und wachsender Wohlstand. Vor allem im Bereich Nichtleben legen viele Märkte zweistellig zu, während Lebensversicherungen vom Zinsumfeld profitieren.
Zudem zeigen die Kapitalanlageergebnisse ihre Wirkung. In einer Phase, in der viele Versicherer kämpfen, die Balance zwischen sicheren Renditen und moderatem Risiko zu halten, scheint die VIG gut abgestimmt zu sein.
Hohe Erwartungen – und die Frage nach der Nachhaltigkeit
Der Optimismus des Managements ist nachvollziehbar, doch genau diese Zuversicht weckt auch kritische Fragen. Ist das Wachstum strukturell oder zyklisch? Wie abhängig sind die Ergebnisse von den Kapitalmarktbewegungen, die sich 2026 wieder drehen könnten? Und wie stabil sind die Märkte, die derzeit den größten Teil des Wachstums liefern?
Bisher vermeidet die VIG große Versprechen in Richtung 2026 und darüber hinaus. Das erhöht die Glaubwürdigkeit – und lässt gleichzeitig Raum für Interpretationen. Klar ist: Das Vertrauen, mit dem der Versicherer in die kommenden Monate geht, speist sich aus echten Zahlen, nicht aus Hoffnung.

Viel Rückenwind – aber auch ein sensibler Zeitpunkt
Es ist kein Geheimnis, dass die europäische Versicherungsbranche an einer Schwelle steht. Digitalisierung, neue Wettbewerber, geopolitische Risiken und verändertes Kundenverhalten erhöhen den Druck. Ein Unternehmen, das seine Prognose in diesem Umfeld deutlich anhebt, sendet ein starkes Signal: Wir wachsen nicht trotz der Umstände – sondern wegen eines Geschäftsmodells, das in vielen Märkten genau jetzt gefragt ist.
Für Anleger ist die Anhebung ein positives Zeichen. Für den Markt ein Hinweis, dass traditionelle Versicherer keineswegs zum alten Eisen gehören. Und für die VIG selbst ein Moment der Positionierung: als Konzern, der auch in einem unruhigen wirtschaftlichen Umfeld an Boden gewinnt.
Das starke Ende: ein Versicherer mit klarer Haltung
Während viele Häuser aktuell eher Defensive predigen, stellt sich die VIG mit dieser Prognose mutig in den Wind. Nicht mit Überschwang, sondern mit Zahlen, die stimmen. Am 25. November werden die vollständigen Ergebnisse veröffentlicht – und dann wird sich zeigen, ob die neue Ernsthaftigkeit der VIG tatsächlich Ausdruck einer strukturellen Trendwende ist. Eines aber steht fest: Die Branche schaut inzwischen genauer hin.



