20. November, 2025

Unternehmen

Verkauft VW hier sein Kronjuwel? Warum der Konzern seine wohl mächtigste Industrie-Tochter loswerden will

Everllence, früher MAN Energy Solutions, wächst in Zukunftsmärkten, dominiert bei Schiffsmotoren und baut Europas größte Wärmepumpen. Trotzdem drängt Volkswagen auf den Verkauf – mitten im Konzernumbruch. Was steckt dahinter, und wer könnte zugreifen?

Verkauft VW hier sein Kronjuwel? Warum der Konzern seine wohl mächtigste Industrie-Tochter loswerden will
Everllence steht an der Schwelle zwischen fossiler Vergangenheit und grüner Zukunft – und Volkswagen entscheidet, wer darüber bestimmen darf.

Der Verkauf, der in Wolfsburg keiner überraschen dürfte

Volkswagen sucht dringend frisches Kapital. Stellenabbau, Kostensenkungen, überforderte Werke – der Konzern ringt um Luft zum Atmen. Ausgerechnet jetzt steht eine Tochter zum Verkauf, die in stabilen Märkten wächst, deren Motoren die Hälfte des Welthandels antreiben und deren Technologien für Wasserstoff, CO₂-Abscheidung und Großwärmepumpen weltweit gefragt sind. Everllence, der frühere Maschinenbauriese MAN Energy Solutions, soll weg.

Es klingt paradox: ein florierender, global aufgestellter Industriechampion, der mitten in der grünen Transformation steckt – und den VW trotzdem abstoßen will. Doch aus Sicht der Wolfsburger passt Everllence längst nicht mehr ins Auto-Portfolio. Keine Räder, keine Plattform, keine Skaleneffekte, die man in der Fahrzeugwelt so liebt. Dafür ein Milliardenwert, den man heben kann.

Goldman Sachs und JP Morgan suchen bereits Käufer. Fünf bis sechs Milliarden Euro stehen im Raum. Für VW wäre das ein Befreiungsschlag, für Everllence ein Zeitsprung in eine ungewisse, aber vielleicht auch größere Zukunft.

Der neue Name – und das alte Problem

CEO Uwe Lauber trägt zwei Realitäten mit sich herum: das Hochgefühl eines Maschinenbaukonzerns, der in Zukunftsmärkten durchstartet – und die Peinlichkeit, ständig mit MAN Truck & Bus verwechselt zu werden. Seit Juni heißt der Konzern deshalb Everllence, ein Kunstwort, das Langlebigkeit und Perfektion suggerieren soll.

Doch die Vergangenheit hängt dem Unternehmen noch sichtbar an. In Oberhausen heißen Haltestellen weiterhin „MAN Turbo“, Wegweiser zeigen Richtung MAN. Gleichzeitig baut Everllence elektrolytische Anlagen für grünen Wasserstoff, Wärmepumpen für US-Fabriken und CO₂-Abscheidungsanlagen für Zementwerke. Ein Fuß in der alten Welt, der andere in der neuen.

Lauber weiß, wie instabil diese Balance ist. Noch stammen 80 Prozent der Umsätze aus traditionellen Motoren und konventionellen Anlagen. Doch bis 2030 will er mindestens die Hälfte aus grünen Technologien erwirtschaften. Sein Problem: Es ist fraglich, ob er selbst entscheiden wird, wie schnell er dort hinkommt.

Wärmepumpen in Übergröße – und eine Genehmigungsfalle namens Deutschland

Wer das Oberhausener Werk betritt, trifft auf gigantische Maschinen, die in den USA problemlos Millionenaufträge einfahren – und in Deutschland auf Stau prallen. Everllence baut die größte Flusswärmepumpe Europas für die Kölner Rheinenergie: 280 Millionen Euro schwer, 50.000 Haushalte sollen künftig mit grüner Fernwärme versorgt werden. Nur: Die Genehmigung fehlt noch immer. Ein Jahr Verzögerung – und mindestens zwei weitere zu erwarten.

Während Deutschland debattiert, baut Everllence längst für den US-Markt. Dort finanziert VW mit einer XL-Wärmepumpe sein neues Scout-Werk in South Carolina. In Boston entsteht eine weitere Anlage, in Dänemark sind bereits Meereswärmepumpen im Einsatz. Das Geschäft wächst weltweit – nur nicht dort, wo der größte politische Bedarf wäre.

Ein grüner Konzern – der weiter fossile Wertschöpfung liefert

Die Ambivalenz ist Everllences Markenzeichen: Die CO₂-Abscheidung boomt, die Wärmepumpen ziehen an, Elektrolyseure gehen in den Export. Gleichzeitig verdient das Unternehmen weiterhin an LNG-Motoren, fossilen Verdichtern und Anlagen für Öl- und Gaskonzerne. Und die Nachfrage bleibt hoch – insbesondere aus Industrien, die staatliche Klimaziele als Belastung sehen.

Diese Dualität ist für Käufer ein Argument – und ein Risiko. Wer Everllence übernimmt, bekommt ein breites Portfolio, das sich je nach Markttrend justieren lässt. Gleichzeitig hängt an diesen Geschäften eine politische Debatte: Wie viel fossiles Erbe verträgt ein Unternehmen, das sich öffentlich grün positioniert?

Warum VW jetzt verkaufen will – und wer überhaupt infrage kommt

Dass VW Everllence loswerden will, überrascht im Konzern niemanden mehr. Schon 2019 stand ein Verkauf zur Debatte, wurde aber wegen der Krise verworfen. Heute hingegen ist der Zeitdruck größer denn je. Der Konzern sucht Kapital, um seine Elektrostrategie zu finanzieren und gleichzeitig die Kostenkurve zu senken.

Ein Industrieinvestor als Käufer? Unwahrscheinlich – es gibt weltweit kaum Unternehmen mit vergleichbarer Breite. Wahrscheinlicher sind Private-Equity-Fonds oder ein Gang an die Börse. Auch die Porsche SE, größter Volkswagen-Aktionär, gilt als möglicher Interessent. Für Finanzinvestoren ist Everllence attraktiv: ein wachsendes Zukunftsgeschäft plus robuste Cashflows aus traditionellen Bereichen.

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Die Belegschaft sieht das ambivalent. Betriebsratschefin Astrid Kluge fordert Garantien für Standorte, Jobs und Tarifbindung. Sie weiß: Ein Finanzinvestor könnte die strategische Flexibilität lieben – aber auch eine Zerschlagung prüfen, wenn es Rendite bringt.

Hat Everllence ohne VW bessere Chancen?

Für CEO Lauber wäre der Verkauf ein schmerzhafter Kontrollverlust – und zugleich eine Chance. Der Maschinenbau passt faktisch nicht zu VW. Unter einem eigens ausgerichteten Eigentümer könnte Everllence seine grüne Strategie schneller umsetzen, statt zwischen Wärmeprojekten, LNG-Motoren und fossilen Kunden hin- und hermanövrieren zu müssen.

Aber klar ist auch: Ein Käufer muss Geduld, Kapital und ein strategisches Rückgrat mitbringen. Everllence steht zwischen zwei Welten – und nur wenige könnten diese Dualität tragen, ohne den Kurs abrupt umzuschlagen.

Ein Deal, der mehr verrät als die Zahlen

Egal wie der Verkauf ausgeht: Er ist ein Symbol für den Zustand der deutschen Industrie. VW kämpft um sein Kerngeschäft und stößt alles ab, was nicht dazu gehört. Everllence wächst – aber in Märkten, in denen Deutschland politisch und regulatorisch schwächelt. Und die Zukunftsausrichtung der grünen Industrie hängt zunehmend davon ab, wer am Ende das Sagen hat: ein Hersteller, ein Fonds – oder ein Investor, für den die Farbe der Bilanz wichtiger ist als die Farbe der Technologie.

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