Washington erhöht den Druck – Berlin gerät in Zugzwang
Die US-Regierung hat ihre Sanktionen gegen Russland verschärft – mit Folgen, die weit über Moskau hinausreichen. Die neuen Maßnahmen treffen die Ölkonzerne Rosneft und Lukoil, zwei der größten Energieriesen des Landes. Besonders heikel: Rosneft ist weiterhin an mehreren Raffinerien in Deutschland beteiligt, darunter die PCK-Anlage im brandenburgischen Schwedt, die rund zwölf Prozent der deutschen Rohölverarbeitung abdeckt und die Hauptstadtregion mit Benzin versorgt.
Was nach einem fernen geopolitischen Konflikt klingt, könnte bald direkte Auswirkungen auf deutsche Tankstellen haben. Denn nach den US-Vorgaben müssen sich internationale Unternehmen bis zum 21. November aus Geschäften mit Firmen zurückziehen, die zu mehr als 50 Prozent im Besitz der sanktionierten Konzerne stehen.
Merz will Ausnahme – aber die Zeit drängt
Bundeskanzler Friedrich Merz zeigte sich nach dem EU-Gipfel in Brüssel zwar zuversichtlich, dass Rosneft Deutschland von den US-Sanktionen ausgenommen werden könne. „Ich gehe davon aus, dass eine entsprechende Freistellung erfolgt“, erklärte er am Donnerstag. Die Gespräche mit Washington laufen bereits – doch sie finden unter hohem Zeitdruck statt.
Denn ohne eine Ausnahmegenehmigung könnten Banken, Ölhändler und Raffineriepartner gezwungen sein, ihre Geschäftsbeziehungen zu beenden. Ein solcher Schritt würde die Lieferketten gefährden und den Betrieb der Anlagen massiv erschweren. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Bloomberg prüfen mehrere Geschäftspartner bereits, ob sie Verträge aussetzen müssen.
Schwedt – der neuralgische Punkt im deutschen Energiesystem
Im Mittelpunkt steht die PCK-Raffinerie in Schwedt, eine der wichtigsten Energieanlagen Ostdeutschlands. Sie versorgt weite Teile des Nordostens mit Kraftstoffen – insbesondere den Großraum Berlin-Brandenburg. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 steht die Anlage unter Treuhandschaft der Bundesnetzagentur, nachdem Rosneft-Anteile eingefroren wurden.
Eine direkte Verstaatlichung wurde bislang vermieden, um juristische Konflikte und politische Spannungen mit Moskau zu verhindern. Doch genau das rächt sich nun: Die deutsche Rosneft-Tochter gilt formal weiterhin als ein Unternehmen unter russischem Einfluss – und fällt damit potenziell unter die US-Sanktionen.
Sollten US-Banken und Dienstleister ihre Zusammenarbeit einstellen, wäre die Finanzierung der Raffinerie in Gefahr. Und das mitten im Winter, wenn die Nachfrage nach Energie traditionell anzieht.
Ölmärkte reagieren nervös
Die Nachricht aus Washington blieb an den Börsen nicht ohne Folgen. Der Ölpreis legte am Donnerstag deutlich zu, nachdem Händler befürchteten, dass das US-Sanktionspaket das globale Angebot weiter verknappen könnte.
„Die Märkte haben sensibel reagiert, weil Rosneft zu den größten Rohölproduzenten der Welt zählt“, sagt ein Analyst eines britischen Energiehauses. „Jede Einschränkung ihrer Exporte, selbst indirekt über Tochterfirmen, kann sich auf Preise in Europa auswirken.“
Die Bundesregierung versucht derweil, die Lage zu beruhigen. Aus Kreisen des Wirtschaftsministeriums heißt es, man gehe nicht davon aus, dass die Raffinerien in Deutschland „kurzfristig betroffen“ seien. Doch unter der Oberfläche wächst die Sorge – vor allem, weil die rechtliche Bewertung kompliziert ist.
Sanktionen mit Grauzonen
Ob Rosneft Deutschland tatsächlich unter die US-Sanktionen fällt, ist juristisch nicht eindeutig. Die US-Regeln greifen nur, wenn ein sanktioniertes Unternehmen mehr als 50 Prozent eines Tochterunternehmens hält. Laut Kanzler Merz liegt der Anteil von Rosneft genau bei dieser Schwelle – also in einer Grauzone.
Das Problem: Schon die bloße Unsicherheit kann Geschäfte lähmen. Banken und Handelspartner meiden jedes Risiko, das sie in Konflikt mit dem US-Finanzrecht bringen könnte. Für Rosneft Deutschland, das ohnehin unter Treuhandschaft steht, bedeutet das: selbst bei formaler Unabhängigkeit drohen indirekte Auswirkungen.
Ein geopolitisches Dilemma
Für Berlin ist der Fall heikel. Die Bundesregierung steht zwischen den Fronten – den politischen Verpflichtungen gegenüber den USA einerseits und der Energieversorgungssicherheit andererseits. Während Merz die Sanktionen als „Zeichen amerikanischer Entschlossenheit“ lobt, muss er gleichzeitig verhindern, dass der deutsche Osten unter Versorgungsengpässen leidet.
Im Hintergrund steht auch eine Grundsatzfrage: Wie unabhängig ist Deutschland wirklich, wenn zentrale Infrastruktur weiter in ausländischem Besitz bleibt – sei es russisch, chinesisch oder amerikanisch?
Energiepolitik auf der Kippe
Dass die Bundesregierung den Fall Schwedt nicht vollständig unter staatliche Kontrolle gebracht hat, war damals eine pragmatische Entscheidung – heute wird sie zum Risiko. Sollte Washington keine Ausnahme gewähren, droht eine neue energiepolitische Baustelle mitten im Wahljahr.
Die Bundesregierung will in den kommenden Tagen eine offizielle Verhandlungsdelegation nach Washington entsenden. Ziel: eine schriftliche Bestätigung, dass Rosneft Deutschland trotz der neuen Sanktionen weiter operieren darf.

