22. August, 2025

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Ungarn überholt Deutschland – Wie Berlin beim Solarausbau den Anschluss verliert

Während Deutschland über Netzengpässe und Förderkürzungen streitet, schieben Länder wie Ungarn, Griechenland und die Schweiz den Photovoltaik-Ausbau kräftig an. Die Energiewende wird plötzlich zur europäischen Standortfrage.

Ungarn überholt Deutschland – Wie Berlin beim Solarausbau den Anschluss verliert
Mit über 300 % Wachstum beim Pro-Kopf-Zubau hat Ungarn Deutschland im Solarausbau klar überholt – während Berlin noch über Einspeisevergütungen und Netzstress debattiert.

Deutschland bremst, andere Länder beschleunigen

Während in Berlin über Einspeisevergütungen und Netzüberlastungen gestritten wird, bauen Länder wie Ungarn, Griechenland, Österreich und die Schweiz ihre Solarenergie still und effizient aus – und zwar deutlich schneller als Deutschland. Das belegt eine neue Auswertung des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE).

Zwischen 2020 und 2024 kam in Deutschland gerade einmal ein halbes Kilowatt an Solarleistung pro Kopf dazu – das entspricht einem einzigen handelsüblichen Solarmodul. In Ungarn, Österreich und Griechenland lag der Zuwachs bei bis zu 0,7 kW pro Kopf – ein Plus von mehr als 300 Prozent innerhalb von nur vier Jahren.

Dass Deutschland beim relativen Solarausbau hinterherhinkt, hat Gründe – viele davon selbst gemacht.

Netze am Limit, Ministerin im Gegenwind

Statt die Solardynamik zu nutzen, warnt Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU vor einem „unkontrollierten Zubau“ und bringt Kürzungen bei der Förderung kleiner Anlagen ins Gespräch. Die Reaktion der Branche ließ nicht lange auf sich warten: massive Kritik, auch aus den eigenen Reihen.

„Wir werden von Anschlussbegehren überrannt“, klagt E.ON-Chef Leonhard Birnbaum.

In der Tat stößt das deutsche Stromnetz vielerorts an seine Belastungsgrenze. Neue Solaranlagen lassen sich nicht beliebig schnell integrieren – das verlangt Planung, Umbau, Speicher, Flexibilität. Alles Dinge, bei denen Deutschland derzeit bestenfalls Mittelmaß ist.

Aber: Probleme mit der Netzstabilität sind kein deutsches Alleinstellungsmerkmal.

Deutschland kommt zwischen 2020 und 2024 auf lediglich 0,5 Kilowatt Solarleistung pro Kopf – Ungarn, Österreich und Griechenland legen fast doppelt so viel zu.

Europas Solaraufsteiger: Vom Nachzügler zum Vorreiter

Ungarn etwa startete 2020 mit nur 0,2 Kilowatt Solarleistung pro Kopf – und legte seither rasant zu. Auch Griechenland, Österreich und die Schweiz holten auf, obwohl ihre Ausgangsbasis weit unter der deutschen lag.

Der absolute Vergleich hinkt: Deutschland hatte schon früh in Solartechnologie investiert und verfügte 2020 über eine deutlich höhere Solarquote. Doch beim relativen Wachstum, dem eigentlichen Maßstab für Innovations- und Umsetzungskraft, zeigt sich ein neues Bild.

Ungarn hat sich vom Solar-Entwicklungsland zu einem europäischen Treiber gemausert – mit klarem regulatorischem Kurs, weniger Bürokratie und Investitionsbereitschaft. Auch Österreich setzt auf dezentrale Lösungen, Speicherförderung und steuerliche Anreize.

Die Schattenseite der Solaroffensive

Doch der schnelle Ausbau bringt auch neue Probleme mit sich. In Griechenland kam es 2024 rund um das orthodoxe Osterfest erstmals zu großflächigen Netzabschaltungen. Photovoltaik- und Windparks wurden stundenweise komplett vom Netz genommen – eine Maßnahme, die bisher eher mit Frankreich in Verbindung gebracht wurde, wo Kernkraftwerke aus technischen Gründen nicht beliebig heruntergefahren werden können.

Auch in Spanien führte ein ungünstiges Zusammenspiel aus hoher Einspeisung und schlecht koordinierten konventionellen Kraftwerken im April 2025 zu einem mehrstündigen Blackout auf der gesamten Iberischen Halbinsel.

Der gemeinsame Nenner: Eine hohe Solarquote ohne ausreichend flexible Ergänzung durch Speicher oder Gaskraftwerke wird schnell zum Risiko.

Netzstabilität wird zur Währung der Energiewende

Matthias Janssen von Frontier Economics bringt es auf den Punkt: „Bei niedriger Solarquote ist ein schneller Ausbau kein Problem – kritisch wird es, wenn das Gesamtsystem nicht mitwächst.“

Deutschland erzeugt mittlerweile 21 Prozent seines Stroms aus Solarenergie, in Griechenland sind es sogar 28 Prozent. Der Rest Europas liegt meist deutlich darunter.

Gerade in Ländern mit niedriger Ausgangsbasis fällt der Ausbau einfacher – sowohl politisch als auch technisch. Deutschland dagegen zahlt nun den Preis für seinen frühen Pionierstatus und verschleppte Infrastrukturmodernisierung.

Förderkürzungen als Placebo

Die Debatte um die EEG-Förderung kleiner PV-Anlagen wirkt vor diesem Hintergrund seltsam rückwärtsgewandt. Während andere Länder Wachstum ermöglichen – und parallel an Netzstabilität arbeiten – diskutiert Deutschland über Deckel, Quoten und pauschale Kürzungen.

Die CDU nennt es „Netzverantwortung“, die Grünen sprechen von einem „Angriff auf die Energiewende“. Tatsächlich zeigt die Entwicklung in Osteuropa, dass es auch anders geht – mit klaren Vorgaben, digitalen Netzen und flexiblen Marktanreizen.

Gaskraftwerke, Speicher, Nachfrage: Wo bleibt der Masterplan?

Die technische Antwort auf volatile Solarproduktion ist längst bekannt: Batteriespeicher, intelligente Verbrauchssteuerung, flexible Kraftwerke. In Kalifornien zeigen Batteriespeicher bereits, wie Netze entlastet und Strompreise stabilisiert werden können.

Auch in Deutschland liegt der Schlüssel nicht im Drosseln der Erzeugung, sondern im Modernisieren des Gesamtsystems. Doch während über jede einzelne Solaranlage gestritten wird, fehlen Investitionsanreize für Speicher, schnelle Genehmigungen für Gaskraftwerke und digitalisierte Laststeuerung.

Noch fehlt auch die Freigabe aus Brüssel für neue Kapazitätsmärkte. Ohne sie aber wird der Rückhalt für die Energiewende in der Industrie weiter bröckeln.

Europa zieht vorbei – und Deutschland verwaltet den Stillstand

Ungarn, Griechenland, Österreich – ausgerechnet jene Länder, die früher als energiepolitische Spätzünder galten, ziehen beim Photovoltaik-Ausbau nun an Deutschland vorbei. Nicht, weil sie bessere Voraussetzungen hätten. Sondern weil sie handeln.

Die Bundesrepublik dagegen droht in ihrer eigenen Vorreiterrolle zu ersticken – geplagt von regulatorischem Kleinmut, veralteten Netzen und einer Politik, die noch immer glaubt, dass sich eine Energiewende mit der Schere im Fördertopf gestalten lässt.

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