Berliner Neustart mit Axt statt Aktenmappe
Die erste Kabinettssitzung unter Kanzler Friedrich Merz ist kaum vorbei, da folgt schon der erste Paukenschlag: 25 Beauftragtenposten in Ministerien und im Kanzleramt sollen sofort gestrichen werden.
Darunter Symbolfunktionen wie die Botschafterin für feministische Außenpolitik, aber auch strategisch relevante Koordinierungsstellen etwa für Migrationsabkommen, digitale Verwaltung, Luft- und Raumfahrt oder die Planung der Zeitenwende.
Die Entscheidung ist ein politisches Signal – und ein organisatorischer Einschnitt. Was für die einen überfällige Verschlankung ist, sehen andere als systematische Entmachtung von Querschnittsfunktionen, die zuletzt an Bedeutung gewonnen hatten.
Von der feministischen Außenpolitik bis zum Radverkehr
Die Liste der gestrichenen Posten liest sich wie ein politisches Jahrbuch der vergangenen Legislaturperioden:
- Beauftragte für globale Gesundheit,
- Sondergesandte für Libyen,
- Koordinatoren für den Westbalkan,
- Zuständige für Artenhilfsprogramme,
- Ladesäuleninfrastruktur,
- Rechtsstaatlichkeit in Osteuropa,
- bis hin zur Bundesbeauftragten für bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau.
Insgesamt betrifft der Schnitt nahezu alle Ressorts – von Umwelt bis Verteidigung, von Auswärtigem Amt bis Innenministerium.
Warum jetzt – und warum so viele?
Offiziell heißt es, die Aufgaben der Beauftragten sollen künftig „in den Fachabteilungen der Ministerien“ wahrgenommen werden. Die neue Bundesregierung will damit nach eigenen Angaben „Effizienz und klare Verantwortlichkeiten“ schaffen. Doch hinter den Kulissen spielt auch Polit-Taktik eine Rolle.
Viele der Posten stammen aus der Ära Merkel oder wurden unter der Ampelregierung eingeführt – teils mit hohem symbolischem Wert, aber ohne direkte Steuerungskompetenz. Kritiker warfen ihnen oft „Nebenregierungstätigkeit“ vor. Mit dem Kahlschlag will die neue Koalition offenbar gestalten statt verwalten – und die Ressorthierarchien klarer fassen.

Kollateralschaden: Themen ohne Fürsprecher
Doch mit dem Wegfall ganzer Zuständigkeitsbereiche geraten zentrale Zukunftsthemen ins politische Abseits. Wer ist künftig im Auswärtigen Amt für die Rechte von Frauen verantwortlich? Wer steuert die Wasserstoffstrategie?
Wer koordiniert Digitalprojekte ressortübergreifend? Und wie soll die Bundesregierung Migration neu verhandeln, wenn der Sonderbevollmächtigte für Migrationsabkommen gestrichen wurde?
Gerade im internationalen Vergleich sind viele dieser Funktionen gängige Werkzeuge, um strategische Querschnittsthemen zu bündeln – etwa Klimapolitik, Tech-Innovation oder regionale Partnerschaften. Ihr Wegfall könnte die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung erschweren – und die Schlagkraft nach außen schwächen.
SPD-Politiker Dirk Wiese, künftig Parlamentarischer Geschäftsführer, betont gegenüber WELT TV, man wolle die Bundesregierung „schlanker, fokussierter und disziplinierter“ aufstellen.
Es gehe nicht um Symbolpolitik, sondern um eine „starke Arbeitsteilung entlang der Ministerien“. Doch das ist nicht ganz unproblematisch.
Denn viele Beauftragte hatten genau die Aufgabe, Ministerien zu vernetzen – oder Themen Sichtbarkeit zu verschaffen, die im Verwaltungsalltag sonst untergehen. Ihr Wegfall droht nicht nur Lücken, sondern auch Leerstelle in der politischen Kommunikation zu erzeugen – etwa beim Thema Gleichstellung, Digitalisierung oder Rechtsstaatlichkeit in Osteuropa.
Effizienzgewinn oder strategische Selbstentmachtung?
Die Entscheidung könnte sich als zweischneidiges Schwert erweisen. Einerseits spart die Regierung an Posten, Reisen, Kommunikation – und vermeidet politische Reibung mit Nebenstrukturen. Andererseits verliert sie an Themendichte, Internationalität und Einfluss.
Denn viele Beauftragtenrollen sind auch diplomatische Schnittstellen – nicht nur zwischen Ministerien, sondern gegenüber der EU, den USA oder multilateralen Partnern.
Weniger Posten, mehr Politik – aber auch mehr Verantwortung
Die neue Regierung will Verantwortung bündeln – und setzt dafür auf eine Strukturreform per Kürzung. Ob sie damit die Entscheidungsprozesse beschleunigt oder politisch entkernt, wird sich erst in der praktischen Regierungsarbeit zeigen.
Klar ist: Wer künftig keine Beauftragten mehr hat, muss mehr liefern – mit weniger Personal und weniger Puffer.
Die Streichliste liest sich wie ein Spagat zwischen Ordnung und Ignoranz. Und wie so oft in der Politik liegt das Risiko nicht im Plan – sondern in seiner Umsetzung.
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