Ein teures Zukunftsprojekt
Siltronic steht exemplarisch für das Dilemma vieler europäischer Hightech-Zulieferer: investieren oder stagnieren. Der Münchner Hersteller von Siliziumwafern, Grundmaterial für jeden Chip, verzeichnete in den ersten neun Monaten einen Nettoverlust von 25,1 Millionen Euro – nach einem Gewinn von 68,8 Millionen Euro im Vorjahr. Der Umsatz schrumpfte um 7 Prozent auf 975 Millionen Euro.
Hauptursache: der Aufbau einer neuen High-End-Fabrik in Singapur, ein Milliardenprojekt, das die Bilanz durch hohe Abschreibungen und Anlaufkosten belastet. Für CEO Michael Heckmeier ist die Expansion dennoch unverzichtbar:
„Wir investieren in die Zukunft des Unternehmens“, erklärte er.
Tatsächlich gilt die Asienfabrik als einer der modernsten Standorte der Branche – doch sie kommt in einer heiklen Marktphase.
Der Preis der Modernisierung
Während Siltronic Milliarden in Asien bindet, läuft das operative Geschäft im Inland nur schleppend. Der globale Chipmarkt befindet sich in einer Übergangsphase: Nach dem pandemiebedingten Boom hat sich die Nachfrage insbesondere im Konsum- und Halbleiterbereich spürbar abgekühlt. Speicherhersteller wie Samsung und Micron reduzieren ihre Bestellungen, was die Auslastung bei Zulieferern wie Siltronic unmittelbar drückt.

Hinzu kommen negative Währungseffekte durch den starken US-Dollar und Verschiebungen von Liefermengen ins vierte Quartal, wie das Unternehmen betont. Das Ergebnis: sinkende Margen bei gleichzeitig hohen Investitionskosten.
„Im dritten Quartal machten sich wie erwartet deutliche Verschiebungen und Währungseinflüsse bemerkbar“, so Heckmeier. Dennoch sprach der Vorstandschef von „soliden Ergebnissen“ – eine Aussage, die an den Börsen nur bedingt verfängt.
Die teure Wette auf Singapur
Die neue 300-Millimeter-Waferfabrik in Singapur gilt als Schlüssel zur langfristigen Wettbewerbsfähigkeit. Dort will Siltronic künftig die nächste Generation von Siliziumscheiben für Hochleistungs-Chips produzieren – ein Markt, den derzeit vor allem TSMC, GlobalWafers und SK Siltron dominieren.
Doch der Weg dahin ist kostspielig: Allein die Errichtung und Inbetriebnahme verschlingen mehrere Milliarden Euro, hinzu kommen steigende Energiekosten, Fachkräftemangel und Lieferkettenrisiken. Der Ausbau erfolgt zudem in einer Phase, in der die Branche zyklisch schwächelt – ein Risiko, das auch Investoren zunehmend beschäftigt.
Zyklus trifft Strukturwandel
Der Halbleitermarkt folgt traditionell klaren Zyklen: Auf Jahre der Übernachfrage folgen Phasen der Überkapazität. Siltronic erwischt Letzteres – während die Kundschaft Lagerbestände abbaut, laufen die neuen Fabriken an. Parallel verschiebt sich der globale Wettbewerb weiter in Richtung Asien.
China subventioniert massiv seine eigene Waferproduktion, die USA investieren mit Milliarden aus dem CHIPS Act, und Europa versucht, mit Förderprogrammen aufzuholen. Siltronic steht damit unter doppeltem Druck: zwischen geopolitischen Interessen und der Notwendigkeit, profitabel zu bleiben.
Präzisierung statt Kurswechsel
Trotz der Verluste präzisiert Siltronic seine Jahresprognose nur leicht. Der Umsatz soll 2025 weitgehend stabil bleiben, das EBITDA-Margin-Ziel von 30 Prozent bleibt in Reichweite. Analysten sehen darin ein Signal, dass das Management von einer Markterholung ab dem ersten Halbjahr 2026 ausgeht.
Gleichzeitig arbeitet das Unternehmen an Effizienzsteigerungen – von Prozessoptimierungen bis hin zu Einsparungen im Einkauf. Doch viel Spielraum bleibt nicht: Die Kapitalbindung durch Singapur limitiert kurzfristige Flexibilität, und eine stärkere Reduktion von Produktionskapazitäten würde die strategische Position schwächen.

Zwischen Geduld und Glaubwürdigkeit
An der Börse reagierten Anleger zurückhaltend. Die Siltronic-Aktie verlor zeitweise rund zwei Prozent. Analysten loben den langfristigen Fokus, warnen aber vor der kurzfristigen Ergebnisbelastung. Die Frage ist, ob das Unternehmen die Durststrecke durchhält, bis die Investitionen Früchte tragen.
Denn noch steht Siltronic zwischen zwei Extremen: zu klein, um gegen die asiatische Konkurrenz anzutreten, zu spezialisiert, um sich ohne Investitionen behaupten zu können. Der Konzern kämpft damit, den Spagat zwischen Technologieführerschaft und Finanzdisziplin zu meistern – ein Balanceakt, der über seine Zukunft entscheidet.
Ein schmaler Grat
Siltronics Strategie ist konsequent, aber riskant. Der Aufbau von Kapazitäten in Asien könnte langfristig die Marktposition sichern – oder die Bilanz überlasten, falls sich der Chipzyklus länger hinzieht. Heckmeier setzt alles auf Wachstum und technologische Eigenständigkeit.
Der Erfolg hängt nun weniger vom nächsten Quartal ab als von der Geduld der Eigentümer und Investoren. In einer Branche, in der sich Marktführerschaft in Monaten verschieben kann, ist das ein riskantes Spiel – aber möglicherweise das einzige, das Siltronic bleiben kann.



