Vom Sorgenkind zum Energiechampion
Keine zwei Jahre ist es her, dass Siemens Energy als Problemfall der deutschen Industrie galt. Milliardenverluste in der Windkraftsparte, Qualitätsmängel bei Turbinen, Lieferkettenprobleme, dazu eine staatliche Rückgarantie von 7,5 Milliarden Euro. Heute klingen diese Schlagzeilen wie aus einer anderen Zeit.
Im dritten Quartal 2025 meldet der Konzern einen Rekordauftragseingang von 16,6 Milliarden Euro – ein Plus von 65 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Gleichzeitig schreibt das Unternehmen mit 697 Millionen Euro Gewinn nicht nur wieder schwarze Zahlen, sondern übertrifft auch die eigenen Erwartungen. Konzernchef Christian Bruch spricht von einem „sehr starken Quartal“ – und das ist noch untertrieben.
Netztechnik und Gaskraftwerke als Wachstumstreiber
Die eigentlichen Stars im Konzern heißen längst nicht mehr Wind, sondern Netz und Gas. In der Netztechnik – also der Stromübertragung – stieg der operative Gewinn im Vergleich zum Vorjahr um fast 90 Prozent. Im Bereich Gasturbinen sogar von 184 auf 402 Millionen Euro. Auch die Gewinnmarge hat sich hier nahezu verdoppelt.
Hintergrund ist ein weltweiter Investitionsschub in kritische Infrastruktur: Transformatoren, Schaltanlagen, Software für Netzmanagement. Und: Die Renaissance der Gaskraftwerke. Auch wenn Deutschland noch zaudert, planen andere Länder längst neue Anlagen – als Brückentechnologie und Absicherung bei volatiler Wind- und Sonnenenergie.

USA überholen Europa – Siemens Energy profitiert vom Boom
Besonders beeindruckend: der Auftragseingang aus den USA. Allein im dritten Quartal kamen fast 6 Milliarden Euro aus Nordamerika – dreimal so viel wie im Vorjahr. Die USA entwickeln sich damit zur zweiten tragenden Säule neben dem europäischen Markt.
Dass Siemens Energy trotz der US-Zölle auf europäische Industrieprodukte in Höhe von 15 Prozent dort weiter wächst, ist ein starkes Zeichen. Laut Bruch schlagen die Zölle bislang mit etwa 100 Millionen Euro negativ zu Buche – doch die Nachfrage überwiegt. „Die Belastung ist schmerzhaft, aber beherrschbar“, so der Vorstandschef.
Wind bleibt Baustelle – Siemens Gamesa rutscht erneut ins Minus
Ein Schönheitsfehler bleibt. Die Windsparte Siemens Gamesa ist nach wie vor nicht profitabel. Zwar konnte der Verlust im dritten Quartal von -455 auf -425 Millionen Euro leicht reduziert werden, doch die Altlasten aus dem Qualitätsfiasko rund um die Onshore-Turbine 4.x belasten weiter.
Der Neustart mit dem Nachfolgermodell ist zwar erfolgt, doch ob der Turnaround gelingt, bleibt offen. Gerade der Offshore-Bereich verursacht hohe Aufbaukosten. Das Risiko: Auch in einem ansonsten glänzenden Konzernbericht bleibt Wind das erste, was Analysten rot markieren.
Schuldenfrei durch eigene Kraft – Staatshilfe vorzeitig zurückgezahlt
Dass Siemens Energy die staatlichen Garantien bereits im Juni vollständig abgelöst hat – ein Jahr früher als geplant – zeigt, wie tiefgreifend sich das Blatt gewendet hat. Rund 100 Millionen Euro an jährlichen Kosten spart das Unternehmen dadurch ein. Bonuszahlungen und Dividenden, die unter den Auflagen lange tabu waren, sollen ab November wieder ausgeschüttet werden.
Bruch sieht die Rückzahlung auch symbolisch: „Die Garantien waren wichtig – aber zuletzt eher ein Klotz am Bein.“ Jetzt wolle man wieder eigenständig agieren – auch gegenüber dem Kapitalmarkt.
Die Börse honoriert den Wandel – Aktie hat sich verdoppelt
Der Aktienkurs spiegelt den Stimmungsumschwung deutlich wider. Seit Jahresbeginn hat sich der Kurs nahezu verdoppelt. Siemens Energy gehört damit zu den besten Performern im DAX.
Für Anleger ist klar: Das Unternehmen ist wieder planbar – und vor allem wieder investierbar. Wer noch 2023 von einer Zerschlagung oder Teilverstaatlichung sprach, dürfte heute überrascht die Zahlen lesen.
Siemens Energy ist zurück – und stärker als zuvor
Der Konzern hat nicht nur seine Bilanz saniert, sondern auch sein Geschäftsmodell geschärft. Mit Netztechnik, Gas und – perspektivisch – Offshore-Wind steht Siemens Energy nun deutlich breiter und resilienter da.
Die Zeiten staatlicher Stützräder sind vorbei. Der Konzern läuft wieder aus eigener Kraft – und das sogar schneller als gedacht. Einzig die Windsparte muss jetzt liefern. Doch wenn der Turnaround auch dort gelingt, steht Siemens Energy vor einer neuen Phase: nicht mehr Getriebener der Energiewende – sondern ihr aktiver Gestalter.
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