Kein Schadensersatz, keine Revision, kein juristischer Sieg für die Klimabewegung – und dennoch: Der Fall Lliuya gegen RWE wird in den Geschichtsbüchern stehen.
Was vor fast einem Jahrzehnt als vermeintlich aussichtsloser Kampf eines Einzelnen begann, wurde zum Kristallisationspunkt einer internationalen Debatte über die Verantwortung großer Emittenten. Jetzt hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden: Die Klage ist abzuweisen.
Ein Urteil mit Grenzen – und mit Sprengkraft
Die Entscheidung war juristisch klar: Die Wahrscheinlichkeit, dass Lliuyas Haus in den kommenden 30 Jahren von einer Gletscherflut zerstört werde, sei laut Gutachten zu gering.
Auf dieser Grundlage wies der Vorsitzende Richter Rolf Meyer die Klage ab. Dennoch betonte er: Der CO2-Ausstoß von RWE sei real, seine Gefahren wissenschaftlich belegt, und das deutsche Zivilrecht prinzipiell anwendbar – auch bei transnationalen Klimafolgen.
Das ist neu. Und politisch explosiv.
Die Klage, die RWE nicht wollte
Der Konzern hatte von Anfang an betont, dass eine zivilrechtliche Haftung für weltweite Klimaschäden ein Dammbruch wäre. Für RWE stand nicht nur das Verfahren auf dem Spiel, sondern ein potenzieller juristischer Dominoeffekt mit Folgen für die gesamte Industrie.
Der Versuch, einen globalen Präzedenzfall zu schaffen, sei gescheitert, heißt es aus Essen. Doch dieser Satz ist nur zur Hälfte richtig.
Die eigentliche Niederlage liegt tiefer
Was Umweltverbände wie Greenpeace feiern, ist keine juristische Schlappe – sondern eine argumentative Aufwertung.
Das Gericht übernahm wesentliche Prämissen der Klägerseite: Dass Unternehmen wie RWE zur Verantwortung gezogen werden könnten, dass nationale Zivilrechte grundsätzlich greifen. Nur im konkreten Fall sei das Risiko eben nicht hoch genug gewesen.
Ein Fall, der weit über Peru hinausreicht
Lliuyas Klage wurde mit fast 800.000 Euro an Gutachter- und Gerichtskosten teuer erkauft. Finanziert von NGOs, begleitet von Juristen und Medien weltweit. Der symbolische Wert ist immens: Ein einzelner Bauer bringt einen Energieriesen in Erklärungsnot, zwingt ihn zur Stellungnahme, mobilisiert internationale Aufmerksamkeit.

Es ist der erste Versuch weltweit, klimaschädliche Emissionen justiziabel zu machen. Und auch wenn das OLG Hamm keine Revision zuließ, ist die Debatte längst in andere Gerichtssäle getragen worden: In den Niederlanden, in Frankreich, in den USA.
Was bleibt? Eine offene Flanke
RWE mag diesen Prozess gewonnen haben. Doch das Urteil öffnet zugleich eine juristische Tür, durch die andere Klagen in Zukunft schreiten könnten.
Die Abweisung erfolgte nicht aus grundsätzlicher Unzuständigkeit, sondern aus mangelnder individueller Bedrohung. Das heißt: Mit besseren Gutachten, mit greifbareren Risiken – könnten andere Klagen erfolgreich sein.
Ein juristischer Pyrrhussieg
Für die großen Emittenten bedeutet das Urteil keine Entwarnung. Im Gegenteil: Es zeigt, dass die Zeit der juristischen Immunität vorbei ist. Die Diskussion um Klimahaftung hat eine neue Phase erreicht – und die Grenze zwischen Verantwortung und Rechtspflicht wird neu gezogen. Was bleibt, ist ein Konzern, der zwar vor Gericht obsiegt hat, aber in der öffentlichen Debatte eine offene Flanke preisgibt.
Und ein peruanischer Bauer, dessen Klage abgewiesen wurde – aber dessen Anliegen nicht mehr ignoriert werden kann.
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