28. Oktober, 2025

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Rüstungsboom hebt Hensoldt auf Rekordkurs – Umsatz soll sich bis 2030 verdoppeln

Die Zeitenwende zeigt Wirkung: Der bayerische Rüstungselektronik-Spezialist Hensoldt schwimmt auf einer Welle der Aufträge. Dank milliardenschwerer Bundeswehr-Beschaffungen erwartet das Unternehmen ein Jahrzehnt des Wachstums – und will bis 2030 doppelt so viel umsetzen wie heute.

Rüstungsboom hebt Hensoldt auf Rekordkurs – Umsatz soll sich bis 2030 verdoppeln
Mit vollen Auftragsbüchern, steigender Marge und staatlichem Rückhalt wird Hensoldt zum Symbol der neuen europäischen Rüstungsära – zwischen industriellem Aufbruch und moralischer Gratwanderung.

Die Zeitenwende kommt im Werk an

Kaum ein Konzern profitiert so unmittelbar von der sicherheitspolitischen Wende wie Hensoldt. Was vor zwei Jahren noch Zukunftsmusik war, ist nun Realität: volle Auftragsbücher, Sonderschichten in der Produktion und ein Vorstand, der den Begriff „Wachstum“ wieder mit Nachdruck ausspricht.

Im laufenden Jahr soll der Auftragseingang um bis zu 90 Prozent über dem Umsatz liegen, teilte das Unternehmen in Taufkirchen bei München mit. Ein solcher Wert gilt in der Branche als außergewöhnlich – er bedeutet, dass die Bestellungen weit schneller wachsen als die Lieferkapazität.

„Die Bundesregierung meint es ernst“, sagt Vorstandschef Oliver Dörre. „Wir bekommen Bestellungen in Größenordnungen, die zehn- bis zwanzigmal über denen vergangener Jahre liegen.“

Milliardenaufträge für neue Systeme

Hensoldt liefert, was die Bundeswehr dringend braucht: Radar- und Sensortechnik für Kampfjets, Panzer und Aufklärungssysteme. Eines der größten Projekte ist der Spähpanzer der nächsten Generation, intern „Luchs II“ genannt. Hensoldt übernimmt die komplette Sensorik – Augen und Ohren des neuen Fahrzeugs.

Auch in der Luft setzt die Bundeswehr auf Technologie aus Bayern: Radarsysteme für die Tarnkappenjets F-35 von Lockheed Martin stammen ebenfalls von Hensoldt. Dazu kommen elektronische Schutzsysteme für Hubschrauber und Marineeinheiten, die feindliche Signale erkennen und stören können.

Mit jedem neuen Auftrag festigt sich Hensoldts Rolle als einer der wichtigsten Ausrüster der deutschen Verteidigungsindustrie – und als Schlüsselunternehmen für die europäische Sicherheitsarchitektur.

Von 2,5 auf 6 Milliarden Euro – ein ambitionierter Plan

Der Vorstand hat seine Ziele drastisch angehoben: Bis 2030 soll sich der Umsatz auf sechs Milliarden Euro mehr als verdoppeln. In diesem Jahr wird das Unternehmen am unteren Ende der bisherigen Spanne landen – rund 2,5 Milliarden Euro Umsatz, leicht weniger als geplant.

Doch die Ertragslage bleibt stark. Die operative Marge (Ebitda) dürfte mit rund 18 Prozent oder mehr sogar über den Erwartungen liegen. Der Kurs der Aktie spiegelt den Optimismus wider: Binnen eines Jahres hat sich der Wert mehr als verdreifacht, zuletzt stieg er erneut um 2,3 Prozent.

Der Bund bleibt mit 25,1 Prozent an Bord – als strategischer Ankeraktionär mit Sperrminorität. Für Berlin ist Hensoldt ein sicherheitspolitisches Asset, kein gewöhnlicher Konzern.

Kapazitätsausbau und Digitalisierung

Mit den Aufträgen wächst der Druck auf die Produktion. Dörre sieht die Flut an Bestellungen nicht nur als Erfolg, sondern auch als Verpflichtung. „Wir müssen unsere Fertigung weiter industrialisieren“, sagt er. „Zuverlässigkeit wird zur Währung in der Verteidigungsindustrie.“

Dazu gehören Investitionen in digitale Fertigungsprozesse, eine erweiterte Lieferkette und der Aufbau neuer Standorte. Allein im kommenden Jahr will Hensoldt Hunderte neue Mitarbeiter einstellen – vor allem Ingenieure, Softwareentwickler und Elektroniker.

Rüstungsaktien bleiben gefragt

Hensoldt ist längst kein Nischenplayer mehr. Der Konzern zählt zu den größten börsennotierten Verteidigungswerten Europas – neben Airbus, Rheinmetall und Saab. Analysten sehen das Unternehmen als einen der klaren Profiteure der europäischen Aufrüstungswelle.

Während viele Tech- und Industrieunternehmen in einem schwierigen Umfeld kämpfen, ist der Rüstungssektor einer der wenigen Wachstumsbereiche in Europa. Geopolitische Spannungen, neue Nato-Ziele und das deutsche 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen wirken wie ein Konjunkturprogramm für Unternehmen wie Hensoldt.

Zwischen Ethik und Effizienz

Kritiker warnen jedoch vor einer Rüstungsblase. Die staatlich geförderte Nachfrage könne zu Überkapazitäten führen, sollte sich die geopolitische Lage entspannen. Auch ethische Fragen werden lauter: Wie weit darf die Kommerzialisierung von Verteidigungstechnologie gehen?

Dörre bleibt pragmatisch. „Unsere Aufgabe ist es, die Streitkräfte auszustatten, nicht die Politik zu kommentieren.“ Für Hensoldt sei die aktuelle Lage „eine industrielle Verantwortung“.

Vom Nischenanbieter zum Eckpfeiler der Verteidigung

Was einst ein Spin-off der Airbus Defence & Space war, hat sich in weniger als zehn Jahren zu einem europäischen Schlüsselunternehmen entwickelt. Hensoldt steht für das, was Deutschland jahrelang vernachlässigt hat: technologische Souveränität in der Verteidigung.

Die Zeitenwende mag politisch ausgelöst worden sein – wirtschaftlich ist sie längst ein Strukturwandel. Und Hensoldt ist einer seiner Gewinner.

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