Auto1 hat keine Zeit für Zurückhaltung. Noch bevor die ersten Analysten ihre Tabellen nachjustieren konnten, hebt der Online-Gebrauchtwagenhändler erneut seine Jahresziele an. Das Berliner Unternehmen kalkuliert jetzt mit bis zu 845.000 verkauften Autos im laufenden Jahr – so viele wie nie zuvor. Ein Ziel, das noch im Sommer unerreichbar schien.
Rekorde, wohin man schaut. Im dritten Quartal setzte Auto1 218.617 Fahrzeuge ab, ein Plus von fast 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Umsatz sprang auf 2,1 Milliarden Euro, das operative Ergebnis (bereinigtes EBITDA) schießt um mehr als 50 Prozent nach oben auf 51,9 Millionen Euro. Und erstmals seit Jahren steht für die Aktionäre ein klar messbarer Gewinn: 19,2 Millionen Euro, mehr als doppelt so viel wie im Vorjahresquartal.
Damit übertrifft Auto1 sämtliche Erwartungen der Banken und Investmenthäuser – und zwar deutlich.

Das Unternehmen setzt auf Skalierung, Geschwindigkeit und Daten. Während klassische Händler ihre Autohäuser verzweifelt mit Pop-up-Events füllen, drehen die Berliner an anderen Stellschrauben: weniger Standzeiten, algorithmische Preisfindung und stark optimierte Logistikprozesse. Autos werden nicht länger herumgeschoben, sie werden durch das System geschleust – vom Ankauf bis zur Auslieferung.
„Wir verkaufen keine Autos, wir verkaufen Geschwindigkeit“, sagte ein Manager des Unternehmens in einer internen Präsentation, die der InvestmentWeek vorliegt. Genau das scheint der Schlüssel zu sein: Der Markt hat ein Problem – Auto1 hat die Infrastruktur.
Die Nachfrage kommt aus mehreren Richtungen. Zum einen läuft die Plattform Autohero zunehmend stabiler, zum anderen spült der tschechische und französische Leasingmarkt massenhaft Rückläufer auf die Straße. Was für viele Händler ein logistisches Problem ist, wird bei Auto1 zur Wachstumsmaschine.
Denn Gebrauchtwagen sind nicht einfach ein Nebenmarkt. Sie sind die Antwort auf eine Konsumrealität, die längst eingetreten ist: Neuwagen sind für viele Haushalte unbezahlbar geworden, Zinsen und Restwertfinanzierungen drücken den Absatz der Hersteller. Gebrauchte füllen die Lücke. Und Auto1 sitzt genau dort.
Doch hinter dem Höhenflug liegt eine stille Verwundbarkeit. Auto1 bewegt sich in einem Markt, der nicht durch stabile Nachfrage glänzt, sondern durch strukturelle Verzerrung: Leasingrückläufer, Zinsschock, Konsumzurückhaltung. Wer heute ein Auto kauft, kauft aus Not – nicht aus Leidenschaft.

Gelingt es Auto1, diesen Effekt in nachhaltige Margen zu übersetzen?
Noch profitiert das Unternehmen von einem Rückenwind, den es nicht selbst erzeugt hat. Aber Auto1 hat eine Antwort darauf, wie dieses Modell verstetigt werden kann: algorithmisch gesteuerte Ankaufspreise, datengetriebene Wiedervermarktung, ein europaweites Logistiknetzwerk. Während die Konkurrenz noch über ihre Preislisten diskutiert, hat Auto1 das Auto bereits verladen.
Die eigentliche Frage ist nicht, wie viele Autos verkauft werden.
Die Frage lautet: Wie viel verdient Auto1 mit jedem einzelnen?
Die Berliner scheinen darauf vorbereitet. Die Prognose für den operativen Jahresgewinn wurde erneut angehoben – auf bis zu 195 Millionen Euro. Noch beeindruckender ist der psychologische Effekt: Auto1 beweist, dass man im Gebrauchtwagengeschäft nicht zwingend Händler sein muss. Eine Plattform kann das gleiche leisten – nur schneller.
Das Unternehmen ist noch weit entfernt vom Status eines stabilen Cashflow-Wunders. Aber es bricht gerade die Regeln eines Marktes, den niemand verändern wollte.
Und das ist es, was Investoren hellhörig macht.
Wenn ein Unternehmen in einer Branche Rekorde bricht, während der Rest des Marktes über Zinsschock und Absatzkrise klagt, dann passiert etwas Grundsätzliches: Hier verschiebt sich ein Geschäftsmodell.
Nicht das Auto ist das Produkt.
Die Plattform ist das Produkt.
Das ist der eigentliche Wendepunkt.



