Wenn es nach Aida Cruises geht, steht die Urlaubsbranche vor einem fundamentalen Umbruch. Die Rostocker Reederei treibt einen Rechtsstreit voran, der das etablierte Vertriebssystem mit Preisbindung – und damit die Existenz vieler Reisebüros – ernsthaft bedroht.
Ein Urteil des Landgerichts Düsseldorf stellt den bisherigen Status quo in Frage: Die gängige Praxis, wonach Pauschalreisen online wie offline zum identischen Preis verkauft werden, sei ein unzulässiger Eingriff in den freien Wettbewerb.
Der Preis ist (nicht mehr) gleich
Seit Jahrzehnten sichern sich Reisebüros ihre Marge über den Status als Handelsvertreter. Im Klartext: Egal ob Mallorca-Reise über Tui, Kreuzfahrt mit Aida oder eine Mietwagenrundreise mit dem ADAC – der Preis bleibt für Kunden gleich, ob sie online oder im Büro buchen.
Rabatte? Verboten. Die Provision für das Reisebüro darf nicht mit dem Kunden geteilt werden. Diese Regelung schirmt vor ruinösem Wettbewerb ab. Doch sie wackelt.
Ausgerechnet Aida, die selbst von der stabilen Vertriebsstruktur profitiert, stellt das Prinzip infrage. Hintergrund: Ein Sparkassen-Dienstleister hatte 2019 Kunden für Aida-Buchungen über Kreditkarten eine Rückvergütung gewährt – ein klarer Verstoß gegen die Preisbindung.
Aida kündigte die Zusammenarbeit. Doch das Landgericht hielt die Kündigung für unrechtmäßig und erklärte die Preisbindung für wettbewerbswidrig.

Die Dimension: Zehntausende Jobs in Gefahr
Branchenvertreter schlagen Alarm. Unter den rund 10.700 Reisevermittlern in Deutschland sind laut Datenbankanbieter Datamego fast 8.000 Kleinstunternehmen oder Einzelselbstständige.
Sie profitieren vom stabilen Provisionssystem – arbeiten aber oft an der wirtschaftlichen Kante. Ein Preiswettbewerb wie im Onlinehandel könnte für sie das Aus bedeuten.
Die Parallele zur Einzelhandelsliberalisierung 1974 liegt auf der Hand: Damals hob der Gesetzgeber die "Preisbindung der dritten Hand" auf. Wenig später verschwand die Mehrzahl der kleinen Drogerien vom Markt. Geblieben sind Ketten wie Rossmann und dm.
Auch im Reisevertrieb wäre es absehbar: Nur große Plattformen wie Check24 oder Booking könnten mit Rabatten Kunden locken – kleine Büros wären chancenlos.
Was das für Verbraucher bedeutet
Auf den ersten Blick scheint Wettbewerb positiv: Preise könnten sinken. Doch das dürfte nur kurzfristig gelten. Wenn lokale Anbieter vom Markt verschwinden, bleiben Plattform-Oligopole zurück. Und wer die Plattform dominiert, kontrolliert am Ende nicht nur den Preis, sondern auch das Angebot.
Hinzu kommt: Reisebüros bieten heute mehr als nur Buchung. Sie filtern, beraten, helfen bei Problemen. Die Digitalisierung ersetzt das selten zufriedenstellend. Wer schon einmal nach einer Stornierung bei einem Callcenter in Osteuropa festhing, weiß das.
Ein europäisches Echo
Der Fall hat auch juristisch Gewicht. Bereits 1987 hatte der Europäische Gerichtshof im Fall der "Flämischen Reisebüros" festgestellt, dass Preisbindungen im Vertrieb nur in engen Ausnahmefällen zulässig sind. Auch das Landgericht Düsseldorf folgt dieser Linie.
Reisebüros tragen ein eigenes unternehmerisches Risiko, sind rechtlich nicht tief genug in das Vertriebssystem eingebunden, um von den Ausnahmeregelungen für Handelsvertreter zu profitieren.
Und jetzt?
Die Berufung könnte noch in diesem Jahr vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verhandelt werden. Dass die Richter dort den Damm halten, gilt als unwahrscheinlich. Selbst der Reisebüroverband VUSR rechnet mit dem Ende des Status quo. Erste Reiseanbieter denken laut über neue Franchise-Modelle nach, bei denen Agenturen nur noch für einen Veranstalter exklusiv arbeiten.
Ein Ende mit Anlauf: Die strukturelle Umwälzung ist kaum noch aufzuhalten. Was bleibt, ist die Frage, wer das Rennen gewinnt: Die Plattformen mit Preisvorteil oder die Büros mit Beratungskompetenz. Vielleicht auch: keiner von beiden.