Was genau auf dem Tisch liegt
Reiche stellt zwei Punkte in Frage: Erstens die Förderung für privaten Solarstrom vom Dach. Zweitens Entschädigungen, die heute fließen, wenn Anlagen wegen Netzengpässen zeitweise gedrosselt („abgeregelt“) werden.
Bestandsschutz für laufende Anlagen soll gelten – die Neuregeln träfen Neuinstallationen und künftige Betreiber. Der politische Frame: Solarstrom ist marktfähig, also raus aus der Sonderbehandlung.
Die Preisfrage: Ist PV auf dem Dach ohne Förderung tragfähig?
Kurzantwort: Ja – in vielen, aber nicht allen Fällen.
- Stromgestehungskosten (LCOE) liegen bei Dach-PV in Deutschland einer aktuellen Fraunhofer-Analyse zufolge grob zwischen 4,9 und 10,4 Cent/kWh (Projektion für künftige Anlagen; heute je nach Größe und Standort meist 4,1–14,4 Cent/kWh). PV plus Heimspeicher kommt – abhängig von Systemgröße und Speicherpreis – auf etwa 6–22,5 Cent/kWh. Damit liegt Eigenstrom in typischen Szenarien unter Haushaltsstromtarifen.
- Investitionskosten sind stark gefallen: Fraunhofer schätzt die Bandbreite für PV von 700 bis 2.000 €/kW; Batteriespeicher liegen bei 400–1.000 €/kWh Kapazität. Der Kostentrend stützt Reiches Grundthese der Wettbewerbsfähigkeit – aber nur, solange Material- und Finanzierungskosten nicht sprunghaft steigen.
Unser Befund: Wer einen hohen Eigenverbrauchsanteil erreicht (Wärmepumpe, E-Auto, Lastverschiebung), rechnet die Anlage ohne Zuschüsse. Wo wenig tagsüber verbraucht wird und Einspeisung dominiert, sinkt die Rendite – besonders wenn gleichzeitig Vergütungen und Abregelungszahlungen wegfallen.
Abregelung: Was passiert, wenn der Netzbetreiber drosselt?
Heute werden Betreiber erneuerbarer Anlagen bei netzbedingter Drosselung grundsätzlich entschädigt; Reiches Vorstoß zielt auf eben diese Zahlungen. Das klingt nach „Schluss mit Mitnahmeeffekten“, hat aber zwei Haken:
- Standortrisiko wandert zum Prosumer: In Regionen mit hoher Einspeisedichte und schwachen Netzen wird das Geschäftsmodell unsicher.
- Investitionsanreize kippen: Genau dort, wo der Netzausbau noch hinkt – ländlich, netzschwach – bräuchte es eigentlich mehr Erzeugung plus Flexibilität (Speicher, Lastmanagement). Wer Drosselungsrisiko allein auf die Kleinanleger legt, bremst den Zubau an den falschen Stellen.

„Sozial ungerecht“? Der Verteilungsstreit, einmal nüchtern
Der Vorwurf, Geringverdiener zahlten die PV der Eigenheimbesitzer mit, stammte aus der Zeit der EEG-Umlage. Heute werden die Kernkosten der Energiewende zu großen Teilen außerhalb der alten Umlage-Logik getragen; gleichzeitig profitieren Haushalte mit PV von niedrigeren Strombezugsmengen.
Der gerechte Deal ist deshalb politisch neu zu definieren: Wer ins Netz einspeist, soll Netzkosten fair tragen – aber so, dass Investitionen nicht abgewürgt werden.
Was stimmt an Reiches These – und was nicht
Richtig:
- Technische und ökonomische Reife: Kleine PV-Anlagen sind in vielen Fällen ohne Förderung konkurrenzfähig; Heimspeicher stabilisieren Erträge über den Tag.
- Effizienzgebot: Pauschale Vergütungssysteme erzeugen Fehlanreize, wenn Marktpreise zeitweise negativ sind oder Netze voll laufen.
Zu kurz gesprungen:
- Einheitliche Schere statt Skalpell: Die Abschaffung von Abregelungsentschädigungen trifft eben nicht „Mitnahmefälle“, sondern vor allem Standorte mit Netznadelöhren – und damit strukturschwächere Räume.
- Systemkosten: Netzausbau, Flexibilität und Digitalisierung sind die echten Kostentreiber. Ohne eine kluge Flex-Architektur (Tarife, Steuerung, Speicher, E-Mobilität als Puffer) werden Drosselungen häufiger – und die Politik schiebt das Risiko zu Kleinanlegern ab.
- Marktintegration: Wer PV „marktlich“ will, braucht variable Preise bis an den Zähler, einfache Netzentgeltsignale und Bürokratieabbau – sonst bleibt die Rendite vom Formular abhängig, nicht vom Markt.
Die Alternativen: Wie marktnah ohne Bremse geht
1) Dynamische Endkundentarife: Strom günstig machen, wenn er reichlich da ist; teuer, wenn er knapp ist – inklusive Netzentgelte nach Uhrzeit/Lokalität. Das schafft Anreize für Speicher und Lastverschiebung statt Abregelung.
2) „No-regret“-Bonus nur für Flexibilität: Weg von pauschalen Einspeisevergütungen – hin zu Flex-Prämien (z. B. für verfügbare Speicherkapazität in Engpassstunden).
3) Abregelung fair teilen: Kein Blankoscheck – aber Teilkompensation für Kleinanlagen bei netzbedingter Drosselung, gedeckelt und an Flex-Auflagen geknüpft (z. B. Pflicht zur steuerbaren Wallbox oder kleinem Hausspeicher).
4) Regionalpreise testen: In Engpassgebieten höhere Spot-Preise an Endkunden weitergeben („Zonen/Nodes light“) – das lenkt Verbrauch und Investitionen dorthin, wo sie dem Netz nutzen.
5) Netzausbau beschleunigen: Priorität auf Verteilnetze, wo PV speist. Ohne Kupfer und Digitalisierung bleibt jede Marktlogik Theorie.
Lesen Sie auch:

Was es für Prosumer konkret bedeutet
- Ohne Förderung rechnen: Wer 5–15 kWp aufs Dach bringt, Eigenverbrauch >40 % schafft und ggf. 5–10 kWh Speicher installiert, liegt – Zinsannahmen eingerechnet – häufig deutlich unter dem Haushaltsstrompreis. Die Bandbreite ist groß; realistische Wirtschaftlichkeitsrechnungen bleiben Pflicht.
- Mit Abregelungsrisiko leben: Ohne Entschädigung steigt die Volatilität der Erträge. Gegenmittel: Speicherkapazität, Steuerbarkeit, flexible Tarife – und Standorte mit weniger Engpässen.
- Papier schlägt Panel: Planbarkeit ist für private Investoren zentral. Jede Reform sollte klar, einfach, jahresübergreifend gelten – sonst wird aus Energiewende Binnenkonjunktur für Steuerberater.
Der Punkt am Ende
Reiches Kurswechsel schneidet einen alten Zopf ab – aber mit stumpfer Schere. Ja, Dach-PV kann heute häufig ohne Zuschüsse bestehen. Aber wer ausgerechnet Drosselungsrisiken auf Kleinanleger abwälzt und Preis- sowie Flexsignale verschleppt, spart an der falschen Stelle: bei der Investitionssicherheit.
Energiewende gelingt nicht, weil man Förderungen streicht, sondern weil man Marktregeln setzt, die Engpässe und Preise ehrlich machen – und damit Investitionen verlässlich.
Das könnte Sie auch interessieren:
