Rekordgewinne ohne Rauch
Philip Morris erlebt das, was in der Branche lange als unmöglich galt: Wachstum ohne Zigaretten. Zum dritten Mal in diesem Jahr hebt der Konzern seine Gewinnprognose an – eine Seltenheit im stagnierenden Tabaksektor.
Die Aktie stieg nach Bekanntgabe der neuen Prognose am Dienstag vorbörslich um drei Prozent. Der Grund: Die Nachfrage nach rauchfreien Alternativen explodiert. Besonders die Marke Zyn, ein in den USA dominanter Nikotinbeutel, entwickelt sich zum Zugpferd des Konzerns.
Vom Marlboro-Mythos zur Nikotin-Ökonomie
Lange galt Philip Morris als Synonym für den Marlboro-Cowboy – das ikonische Symbol einer Ära, die langsam ausglimmt. Doch Konzernchef Jacek Olczak treibt seit Jahren die Transformation voran: weg vom Rauch, hin zu sogenannten „reduced-risk products“.
Mit E-Zigaretten, Tabakerhitzern und Beuteln ohne Verbrennung will der Konzern nicht weniger als die Zukunft des Nikotinkonsums neu definieren. Und das funktioniert: Laut Unternehmensangaben wächst das globale Portfolio an rauchfreien Produkten inzwischen deutlich schneller als der Markt.
Der Druck des Wandels
Was wie eine Erfolgsgeschichte klingt, ist zugleich Ausdruck enormen Drucks. Die klassischen Zigarettenverkäufe sinken seit Jahren, in vielen Ländern sind Werbeverbote, Steuererhöhungen und Regulierungen Alltag. Philip Morris muss sich neu erfinden, um seine Margen zu halten.
Die Strategie: das eigene Geschäftsmodell disruptieren, bevor es andere tun. Mit einem Milliardenbudget für Forschung, Marketing und Akquisitionen – etwa dem Kauf von Swedish Match, dem Hersteller von Zyn – hat sich der Konzern die Basis für sein „rauchfreies Zeitalter“ geschaffen.
Die neue Macht der Nikotinbeutel
Nikotinbeutel wie Zyn sind kein klassisches Kautabakprodukt, sondern eine Art „schnüffelloses“ Nikotinerlebnis: kleine, weiße Beutel, die unter die Lippe gelegt werden. Kein Rauch, kein Dampf, kein Geruch – und damit kein öffentlicher Aufschrei.
In den USA haben sie einen regelrechten Boom ausgelöst, vor allem bei jüngeren Konsumenten, die klassische Zigaretten ablehnen, aber nicht auf Nikotin verzichten wollen.
Kritiker warnen jedoch vor einer gefährlichen Verharmlosung: Die Produkte seien süchtig machend, gesundheitlich kaum erforscht und psychologisch ähnlich bindend wie Zigaretten.
Profitabel, aber umstritten
Gesundheitsbehörden und Konsumentenschützer sind alarmiert. Während Philip Morris den Wandel als Beitrag zu einer „rauchfreien Zukunft“ vermarktet, sehen Kritiker darin vor allem eine Marketingstrategie: weniger Rauch, gleiche Abhängigkeit.
In den USA untersucht die Food and Drug Administration (FDA) derzeit, ob Nikotinbeutel künftig strenger reguliert werden sollen. Auch in der EU fordern Gesundheitsexperten klare Warnhinweise und Altersbeschränkungen.
Mehr Gewinn – weniger Rauch
Trotz der Kritik: Für Philip Morris rechnet sich die Wette. Das Unternehmen erwartet nun für das Gesamtjahr einen bereinigten Gewinn zwischen 7,46 und 7,56 Dollar je Aktie – nach zuvor 7,43 bis 7,56 Dollar.
Damit zeigt sich: Der Wandel zur „rauchfreien Profitmaschine“ funktioniert vorerst. Auch Anleger scheinen überzeugt, dass der Konzern mit seiner neuen Strategie an Stabilität gewinnt – und zugleich eine der größten Branchenwenden der vergangenen Jahrzehnte vollzieht.
Ein riskanter Balanceakt
Doch die Rechnung ist fragil. Der Erfolg von Zyn hängt an einer laxen Regulierung und einem gesellschaftlichen Spagat: Produkte, die als gesünder gelten, dürfen nicht zu einem neuen Einstiegsdroge werden.
Sollte die Politik härter eingreifen oder die öffentliche Meinung kippen, könnte aus dem vermeintlichen Zukunftsgeschäft ein Reputationsrisiko werden.
Transformation mit Nebenwirkungen
Philip Morris ist weiter als viele Konkurrenten – doch der Preis des Erfolgs ist hoch. Der Konzern bewegt sich auf einer moralischen Gratwanderung zwischen Gesundheitsversprechen und Profitinteresse. Und während die Marlboro-Wolken sich lichten, bleibt eine Frage: Wie „rauchfrei“ kann eine Zukunft wirklich sein, in der Nikotin das neue Gold ist?

