17. Juli, 2025

Unternehmen

Preiskampf, Zollschock und Kakaokrise – wie Niederegger gegen den Strom schwimmt

Trotz explodierender Rohstoffkosten und drohender US-Zölle hält Niederegger seine Preise hoch – und setzt auf Roboter, Mut zur Nische und ein treues Publikum, das bereit ist, den doppelten Preis für Marzipan zu zahlen.

Preiskampf, Zollschock und Kakaokrise – wie Niederegger gegen den Strom schwimmt
Mit steigenden Weltmarktpreisen für Kakao und drohenden 25 %-Zöllen auf US-Mandeln wird Marzipan zur Luxusware – doch Niederegger kalkuliert weiter selbstbewusst.

Ein Mittelständler im Ausnahmezustand

Die Preise für Marzipan steigen – doch nicht überall. Während viele Hersteller Rabatte geben oder aufgeben, trotzt Niederegger der Süßwarenkrise mit einem bemerkenswerten Kurs: Premium-Preis, keine Rabattschlachten, keine Abhängigkeit von Discountern.

Das Familienunternehmen aus Lübeck steht damit exemplarisch für einen neuen Überlebensmodus im deutschen Mittelstand.

Rohstoffpreise explodieren – vor allem Kakao und Mandeln

Der globale Kakaomarkt steht unter Schock. Innerhalb eines Jahres verdreifachte sich der Preis für Kakaobohnen auf über 7.000 € pro Tonne. Grund sind schlechte Ernten in Westafrika, klimatische Extreme und Spekulationen an den Rohstoffbörsen.

Gleichzeitig drohen US-Mandeln – Herzstück jeder Marzipanrezeptur – durch EU-Zölle 25 % teurer zu werden. Besonders betroffen: Hersteller wie Niederegger, die auf kalifornische Mandeln setzen.

Zölle auf Mandeln: Gefahr für das Marzipangeschäft

Seit der Eskalation des Handelskonflikts zwischen der EU und den USA drohen Einfuhrabgaben auf diverse Agrarprodukte – darunter auch Mandeln. Diese machen bei Marzipanprodukten bis zu 60 % der Rohmasse aus.

Trotz explodierender Rohstoffpreise hält Niederegger seine Marzipanpreise stabil – und grenzt sich damit bewusst vom Preiskampf im Lebensmitteleinzelhandel ab.

Für viele Hersteller wäre das existenzbedrohend. Doch Niederegger bleibt standhaft – und kalkuliert knapp, aber selbstbewusst.

Keine Rabatte – Marzipan als Luxusprodukt

Während Mitbewerber wie Zentis oder Lubeca mit dem Einzelhandel um Preisaktionen ringen, verzichtet Niederegger komplett auf Discounter. Die Strategie: Hochwertiges Marzipan zum doppelten Preis – und dafür ein Markenimage, das Beständigkeit signalisiert.

100 g Marzipanbrot kosten bei Niederegger rund 3,40 €, bei Zentis knapp 2 €. Die Preise werden bewusst hoch gehalten – über sogenannte unverbindliche Preisempfehlungen, die dem Handel kaum Spielraum lassen.

Saisonabhängigkeit und 66 Sorten Innovation

Etwa die Hälfte des Jahresumsatzes erwirtschaftet Niederegger zwischen Oktober und Dezember. Um die Abhängigkeit von der Weihnachtssaison zu verringern, setzen die Geschäftsführerinnen Antonie Strait und Theresa Mehrens-Strait auf Sortimentserweiterung: Statt 30 gibt es heute 66 Sorten Marzipan.

Von „Apple Bourbon“ bis „Ingwer Shot“ ist alles dabei. Damit erschließt sich das Unternehmen neue Zielgruppen – auch jüngere Konsumenten und Männer.

Digitalisierung im Mittelstand: Roboter ersetzen Handarbeit

Parallel zur Sortimentsstrategie treibt Niederegger die Automatisierung voran. 70 % der Produktion ist heute automatisiert – vor zehn Jahren waren es noch 30 %.

Rund zehn Millionen Euro fließen pro Jahr in Robotertechnik und Prozessoptimierung. Ziel: Effizienz trotz steigender Kosten. In der Produktion entstehen täglich 30 Tonnen Marzipanprodukte – von Pralinen über Figuren bis zu den exportstarken Marzipanbroten.


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Unabhängigkeit als Erfolgsmodell

Ein zentraler Punkt der Unternehmensphilosophie: Niederegger ist nicht fremdfinanziert. Investitionen stammen aus laufenden Gewinnen, Banken spielen keine Rolle.

Das sichert nicht nur Entscheidungsfreiheit, sondern reduziert auch das Risiko in Krisenzeiten. Der geschätzte Jahresumsatz liegt laut Brancheninsidern zwischen 200 und 250 Millionen Euro.

Süßwarenindustrie unter Druck – aber nicht überall

Die Süßwarenbranche insgesamt schrumpft: Zwar stieg der Umsatz laut Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI) auf 17 Milliarden Euro, doch die Produktionsmenge sank um vier Prozent.

Viele Marken verschwinden oder werden aufgekauft – etwa Hachez durch die dänische Toms-Gruppe oder Gubor durch einen polnischen Investor. Von ehemals hunderten Herstellern haben nur noch 18 Betriebe die Größe von Niederegger.

Klarer Kurs, kluge Führung – und ein stabiles Publikum

Was das Lübecker Unternehmen auszeichnet: eine Mischung aus Markenklarheit, unternehmerischer Disziplin und Mut zu Eigenständigkeit. Die beiden Geschäftsführerinnen – beide in Münster in BWL promoviert – zeigen, dass es selbst in einem volatilen Markt Spielräume gibt.

„Unsere Stammkunden sind weniger preissensibel“, sagt Vertriebsexpertin Mehrens-Strait. Das Vertrauen der Kundschaft, so scheint es, ist wertvoller als jeder Rabatt.

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