Kopf-an-Kopf-Rennen um die Macht
Selten war eine Wahl in den Niederlanden so unberechenbar wie diese. Nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen steht fest: Die linksliberale D66 von Rob Jetten liegt gleichauf mit der Partei für die Freiheit (PVV) des Rechtspopulisten Geert Wilders – beide kommen auf 26 Sitze im Parlament.
Für Jetten ist das ein politischer Durchbruch. Seine Partei hat ihre Mandate nahezu verdreifacht und sich damit vom Koalitionspartner zum Machtfaktor entwickelt. Wilders hingegen musste deutliche Verluste hinnehmen – und das, obwohl er vor einem Jahr noch als Königsmacher galt.
„Der Wähler hat gesprochen“, schrieb Wilders am Abend auf X. „Wir hatten auf ein anderes Ergebnis gehofft.“
Zwischen den Zeilen klingt Enttäuschung mit – und die Erkenntnis, dass sein politisches Momentum vorerst vorbei sein könnte.
Das Ende der Ära Wilders?
Vor kaum einem Jahr schien Geert Wilders auf dem Höhepunkt seiner Macht. Seine Partei war stärkster Partner in der bislang rechtesten Regierung der niederländischen Geschichte. Doch nach nicht einmal zwölf Monaten ließ er die Koalition platzen – ausgerechnet wegen Differenzen über die Migrationspolitik, seinem Kernthema.
Was folgte, war politisches Chaos. Neuwahlen, Vertrauensverlust, Zersplitterung. Heute stehen die Niederlande mit 15 Parteien im Parlament da – ohne klares Lager, ohne klare Mehrheiten. Und ohne dass irgendjemand mit Wilders regieren möchte.
Die großen Parteien haben eine Zusammenarbeit mit ihm kategorisch ausgeschlossen. Damit dürfte der 61-Jährige zwar viele Stimmen behalten, aber kaum noch politischen Einfluss ausüben können.
Der Aufstieg des Rob Jetten
Im Gegensatz zu Wilders setzte Rob Jetten, 38, auf das genaue Gegenteil: Kooperation statt Konfrontation, Weltoffenheit statt Abschottung. Der ehemalige Energieminister, der für seine sachliche Art und seine klaren Botschaften bekannt ist, hat D66 in kurzer Zeit modernisiert – und sie für junge, urbane Wähler wieder attraktiv gemacht.
Jettens Erfolg ist auch ein Signal gegen die politische Polarisierung der letzten Jahre. Seine Partei steht für Klimaschutz, Bildung und soziale Innovation – Themen, die in den Niederlanden zunehmend den Ton angeben.
Ob Jetten nun tatsächlich den Auftrag zur Regierungsbildung erhält, ist offen. Doch die Chancen stehen gut: Als Chef der stärksten Partei hat er das erste Zugriffsrecht auf das Amt des Ministerpräsidenten.
Timmermans zieht den Stecker
Während D66 feiert, zieht einer der bekanntesten Politiker des Landes Konsequenzen. Frans Timmermans, Spitzenkandidat des rot-grünen Bündnisses GroenLinks-PvdA, kündigte noch in der Wahlnacht seinen Rücktritt an.
„Es ist mir nicht gelungen, genug Menschen davon zu überzeugen, uns ihre Stimme zu geben“, sagte Timmermans in Rotterdam. Der 64-Jährige hatte die Partei vor zwei Jahren aus Brüssel übernommen – mit der Hoffnung, Ministerpräsident zu werden. Als ehemaliger EU-Vizekommissionspräsident wollte er europäischen Geist und Umweltpolitik nach Den Haag bringen. Am Ende reichte es nur für Platz vier.
Sein Abgang markiert das Ende einer kurzen, aber ambitionierten Mission: den niederländischen Grünen und Sozialdemokraten wieder politisches Gewicht zu verleihen.

Eine zersplitterte Republik
Neben D66 und PVV wird auch die liberalkonservative VVD mit 22 Sitzen eine Rolle spielen. Das rot-grüne Bündnis kommt auf 20 Mandate, die Christdemokraten auf 18. Eine Fünf-Prozent-Hürde gibt es in den Niederlanden nicht – entsprechend bunt und kompliziert wird die Regierungsbildung.
Koalitionen mit vier oder fünf Parteien sind in Den Haag inzwischen eher Regel als Ausnahme. Doch diesmal scheint die Ausgangslage besonders schwierig: Viele wollen regieren, aber kaum jemand will miteinander.
Zwischen Stabilität und Stillstand
Was bleibt, ist ein Land im politischen Schwebezustand. Die Niederlande suchen Orientierung – zwischen der alten Polarisierung und einer neuen Generation, die andere Themen setzen will.
Für Geert Wilders endet diese Wahl als Warnsignal. Für Rob Jetten beginnt sie vielleicht als Startschuss. Und für Europa ist sie ein Lehrstück: Populismus verliert, wo Sachpolitik wieder Vertrauen schafft.
Ob das reicht, um in Den Haag wieder Stabilität herzustellen, wird sich zeigen. Doch eines ist jetzt schon klar: Die Niederlande haben politisch den Reset-Knopf gedrückt.


