Ein Schritt zurück in die Vergangenheit?
Polen wird ab kommender Woche wieder stationäre Kontrollen an seinen Grenzen einführen – eine Zäsur in einem vereinten Europa, das auf offene Grenzen setzte. Ministerpräsident Donald Tusk spricht von einer „Notwendigkeit“.
Dahinter steht nicht nur innenpolitischer Druck, sondern auch die wachsende Frustration über Deutschlands Vorgehen bei der Zurückweisung illegaler Migranten.
Die Bundespolizei hatte allein in der ersten Maihälfte über 1.000 Menschen an Polen zurückgeschoben – unter Berufung auf geltende Dublin-Regeln und einseitige Entscheidungen der Bundesregierung. Tusk sieht darin eine Missachtung gegenseitiger Absprache und verweist auf eine klare Warnung an Berlin im Frühjahr. Nun zieht Warschau die Notbremse – und nicht nur dort.
Misstrauen wächst – auf beiden Seiten der Grenze
Die deutsch-polnischen Beziehungen wirken angespannt wie lange nicht. Während Bundeskanzler Friedrich Merz Verständnis für den Schritt signalisiert, brodelt es auf polnischer Seite längst.
Der rechte Oppositionspolitiker Krzysztof Bosak sprach offen von einem „Kontrollverlust“ der Regierung – und forderte bereits am Montag feste Grenzposten. Auch an der Grenze zu Litauen will Warschau nun wieder kontrollieren.
Gleichzeitig wächst die Zahl der freiwilligen „Grenzschützer“. Die Gruppe „Bewegung zur Verteidigung der Grenzen“ ist an mehreren Übergängen präsent, dokumentiert mutmaßliche Pushbacks und beschuldigt deutsche Behörden, Migranten gezielt nach Polen zu schicken. Der polnische Grenzschutz bestreitet das – verweist aber auf 250 Festnahmen seit April im Südwesten des Landes.

Ein Mord, der alles verändert hat
Den emotionalen Kipppunkt markierte jedoch ein Fall, der medial wie politisch hohe Wellen schlägt: In Thorn wurde eine polnische Studentin Opfer eines Messerangriffs.
Der mutmaßliche Täter – ein 19-jähriger Venezolaner – lebte illegal im Land, sein Visum war bereits abgelaufen. Seitdem haben sich die Proteste in Polen radikalisiert. Rechte Gruppen sprechen offen von „migrantischer Barbarei“ – und erhalten dafür Applaus auf der Straße.
Warschau steht unter Zugzwang. Die Migrationszahlen steigen, die Opposition wittert Schwäche. 2023 zählte die Bundespolizei über 16.000 illegale Grenzübertritte aus Polen, die Hälfte davon von Menschen mit ukrainischem Pass. Auch Afghanen, Syrer, Georgier und Inder tauchen in den Zahlen auf. Das Vertrauen zwischen Berlin und Warschau schwindet – und Brüssel? Schweigt.
Das Ende von Schengen?
Mit der Wiedereinführung nationaler Kontrollen in Polen droht der Schengenraum weiter zu bröckeln. Schon zuvor hatte Deutschland selbst an den Grenzen zu Polen und Tschechien temporäre Maßnahmen eingeführt – nun reagiert Warschau seinerseits mit Spiegelmaßnahmen.
Die Konsequenz: Ein Rückfall in nationale Souveränitätslogik, die nicht nur Pendler und Spediteure treffen dürfte, sondern auch das politische Klima in Europa vergiftet.
Polens Schritt ist dabei nicht isoliert: Auch in anderen EU-Staaten, von Frankreich bis Österreich, werden temporäre Grenzkontrollen wieder zum Alltag. Die Europäische Kommission zeigt sich zurückhaltend – zu groß ist der Spagat zwischen freiem Personenverkehr und innerer Sicherheit.
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