Spanien galt lange als europäischer Musterfall der Energiewende: viel Sonne, viel Wind, klare Ausbauziele. Doch ausgerechnet dieser Erfolg bringt das System nun ins Wanken. Überkapazitäten im Strommarkt, ein Netz am Limit und eine Nachfrage, die seit der Pandemie kaum wächst, erzeugen ein Spannungsfeld, das die Ökostrombranche wirtschaftlich belastet – und die politische Agenda verändert.
Der Überschuss an grünem Strom drückt die Preise ins Bodenniveau
Solar- und Windstrom fluten den Markt, doch die Stromnachfrage stagnierte 2024 auf dem Stand von 2019. Die Konsequenz: Großhandelspreise, die so niedrig sind, dass sie ganze Projekte unrentabel machen. Zeitweise rutschen die Preise sogar ins Negative. Spanien, jahrelang bekannt für die niedrigsten Strompreise in langfristigen Verträgen, erlebt damit die Kehrseite seiner Vorreiterrolle.
Der Effekt ist strukturell, nicht zyklisch. „Banken sind bei der Kreditvergabe bereits zurückhaltender“, sagt Energiewissenschaftler Diego Rodríguez. Projekte, deren Bau bereits finanziert ist, laufen weiter. Doch ab 2027 könnte ein Einbruch drohen, der die Ausbauziele der Regierung gefährdet.
Fehlende Speicher verhindern, dass Solarstrom wirtschaftlich wird
Spanien produziert mittags riesige Strommengen, die das Netz nicht aufnehmen kann – zugleich fehlt nachts die Kapazität, um diese Energie nutzbar zu machen. Das Land verfügt über nur 0,4 Gigawatt an Batteriespeichern. Deutschland hat 16 Gigawatt.
Die Regierung will bis 2030 auf 22,5 Gigawatt Speicher kommen, doch bis dahin klafft eine Lücke, die nicht nur Preisvolatilität erzeugt, sondern das Geschäftsmodell vieler Solarparks aushöhlt.
Die Elektrifizierung stagniert – und bremst die Energiewende aus
Das Angebot steigt, doch der Verbrauch wächst nicht mit. Der Anteil von Elektroautos liegt in Spanien bei nur 5,5 Prozent aller Neuzulassungen – weniger als die Hälfte des EU-Durchschnitts. Projekte für grünen Wasserstoff bleiben bisher weitgehend Visionen.
Solange Verkehr, Industrie und Haushalte nicht stärker elektrifizieren, bleibt die Energiewende einseitig: viel Erzeugung, wenig Nachfrage. Ein Ungleichgewicht, das sich im Strommarkt unmittelbar niederschlägt.
Das eigentliche Nadelöhr liegt im Netz, nicht in der Nachfrage
Der größte Energiekonzern Iberdrola bringt einen zentralen Punkt auf den Tisch: Das Problem ist nicht der fehlende Verbrauch, sondern die fehlende Transportkapazität. 83 Prozent der Verteilnetze gelten als ausgelastet. Endesa musste über die Hälfte der Anträge auf Netzzugang ablehnen.
Der Grund ist paradox: Viele Unternehmen blockieren Kapazitäten vorsorglich, ohne tatsächlich Projekte umzusetzen. Vor allem Rechenzentren haben sich große Kontingente gesichert – drei Mal mehr, als sie laut Branchenprognose bis 2030 benötigen. Netzbetreiber sprechen von einer „Blase“. Die Folge: Das Netz sieht voll aus, obwohl ein Teil der reservierten Kapazitäten gar nicht genutzt wird.
Der Überlastungseffekt ist real: In Summe liegen Anträge für 100 Gigawatt Netzzugang vor – mehr als doppelt so viel wie Spaniens gesamte historische Spitzenlast von 45 Gigawatt.
Der Blackout vom April hat die Systemarchitektur verändert
Nach dem landesweiten Stromausfall im Frühjahr, von dem 58 Millionen Menschen betroffen waren, hat der Netzbetreiber Red Eléctrica reagiert. Zur Stabilisierung des Systems wurde der Anteil von Gaskraftwerken im Strommix erhöht. Gas lässt sich schneller regeln als Erneuerbare und mildert Frequenzschwankungen – ein entscheidender Faktor, bis die Ursachen des Blackouts vollständig geklärt sind.

Für Betreiber von Solar- und Windparks bedeutet dieser Schritt jedoch noch mehr ungenutzte Kapazitäten. Und für Verbraucher höhere Preise: Gas ist teuer, grüne Energie wäre billiger. Doch die technische Logik des Netzes zwingt Spanien vorerst zu einem fossilen Zwischenschritt.
Ein Widerspruch prägt den Markt: Erzeuger leiden, Verbraucher zahlen mehr
Während sich Solar- und Windparkbetreiber über niedrige Erlöse beklagen, zahlen Haushalte nach dem Blackout höhere Tarife. Im regulierten System liegen sie aktuell bei 24 Cent pro Kilowattstunde – weniger als in Deutschland (33 Cent), aber deutlich über den Werten, die der massive Ausbau erneuerbarer Energien eigentlich ermöglichen sollte.
Für Rodríguez ist der aktuelle Preisanstieg dennoch temporär. „Der strukturelle Trend ist rückläufig“, sagt er. Sobald Speicher ausgebaut, Netze modernisiert und Nachfrageimpulse gesetzt sind, werde die Erzeugung aus erneuerbaren Energien den Preis dauerhaft drücken.
Spaniens Energiewende braucht einen neuen Gleichgewichtspunkt
Die Krise ist nicht das Scheitern der Energiewende, sondern ihrer Einseitigkeit. Spanien hat Erzeugungskapazitäten geschaffen, als ob Netze, Speicher und Verbrauch automatisch folgen würden. Doch sie tun es nicht. Jetzt muss das Land dorthin investieren, wo der Engpass sitzt: in Netzinfrastruktur, Speichertechnologie, Elektrifizierung – und in Regeln, die verhindern, dass brachliegende Anträge das System blockieren.
Erst wenn Angebot und Nachfrage zusammenfinden, kann Spanien wieder ein Modellfall der Energiewende werden – diesmal ohne Wachstumsschmerzen.


