Der Wirtschaftsstandort Schweiz gerät ins Wanken. Seit dem vergangenen Freitag gelten für die meisten Schweizer Produkte Strafzölle von satten 39 Prozent bei der Einfuhr in die Vereinigten Staaten. Zum Vergleich: Für EU-Mitgliedsstaaten liegt der Satz derzeit bei 15 Prozent.
Eine massive Wettbewerbsverzerrung, die viele Schweizer Firmen zur Flucht zwingt – und Deutschland zum neuen Hoffnungsträger macht. Doch die Entscheidung fällt nicht leicht.
Produktionsverlagerung mit Kalkül
Simon Michel, Chef des Medizintechnikunternehmens Ypsomed, hat den Taschenrechner schon länger auf dem Tisch. Bei Zöllen zwischen zehn und 15 Prozent, so Michel, wäre noch Verhandlungsspielraum mit US-Kunden geblieben. Doch 39 Prozent?
Das wäre "nicht mehr tragbar". Die Konsequenz: Ypsomed verlagert Teile der Produktion von der Schweiz nach Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern. Nicht aus Emotion, sondern aus kühler Logik.
Damit ist Michel nicht allein. Eine Umfrage des Schweizer Industrieverbands Swissmem ergab, dass 63 Prozent der Unternehmen in die USA exportieren, doch nur fünf Prozent bei anhaltend hohen Zöllen eine Verlagerung in die USA planen. Drei Viertel sagen kategorisch: Kein Interesse. Die Alternative: Binnen-EU.
Lesen Sie auch:

Der Deutschland-Faktor
Deutschland profitiert – zumindest potenziell. Sprachlich, logistisch und kulturell näher als Osteuropa, bleibt die Bundesrepublik vor allem für mittelständische Unternehmen attraktiv.
Auch die industrielle Kompetenz, das duale Ausbildungssystem und der Fachkräftepool sprechen für den Standort. Jean-Philippe Kohl von Swissmem bringt es auf den Punkt: „Deutschland ist trotz aller Probleme der mit Abstand stärkste Industriestandort Europas.“
Doch es gibt Schattenseiten. Die überbordende Bürokratie, hohe Strompreise und eine „wenig industriefreundliche Politik“ schrecken viele Unternehmen ab. Der Verband der Schweizerischen Lack- und Farbenindustrie etwa verweist auf Polen als attraktiveren Zielstandort. Deutschland hingegen müsse aufpassen, den Industriebonus nicht zu verspielen.
Trumps Zölle als Standortmaschine?
Interessanterweise hat der Zollschock nicht zu einem Run auf US-Produktionsstandorte geführt. Warum? Weil es in den USA schlicht an Fachkräften fehlt.
"Man kann dort ohne Probleme eine Fabrik hinstellen, aber kaum jemand findet Personal, das komplexe Anlagen bedienen kann", sagt Swissmem.
Das erklärt auch, warum Trumps Reindustrialisierungspolitik von Experten skeptisch gesehen wird.
Die Schweiz indes verhandelt – noch. Bis Herbst soll ein neuer Deal mit den USA stehen. Doch für viele Firmen ist das zu spät. Die Weichen werden jetzt gestellt. Wer bereits EU-Standorte betreibt, zieht den Hebel. Wer noch nicht, muss abwägen, ob Investitionen in Millionenhöhe tragbar sind. Für kleinere Unternehmen wird das zur Zerreißprobe.
Deutschlands Industriepolitik wird zum Standorttest
Der plötzliche Reiz Deutschlands ist trügerisch. Zwar bietet das Land viele strukturelle Vorteile, doch die kritische Sicht auf politische Rahmenbedingungen bleibt. Wenn Deutschland von der Schweizer Zollkrise profitieren will, muss es mehr tun als hoffen. Bürokratieabbau, schnellere Genehmigungen, verlassbare Energiepreise – das sind die eigentlichen Hausaufgaben.
Denn sonst könnte es passieren, dass selbst ein wirtschaftlich angeschlagener Standort wie Bulgarien am Ende attraktiver ist als die ehemalige Industrienation Deutschland.
Das könnte Sie auch interessieren:
